Die Western-Serie «1883» im Faktencheck: Was stimmt? Was ist erfunden?
Die Western-Serie «1883» ist authentisch, aber nicht dokumentarisch. Mein Faktencheck zeigt, welche Pferde und Rinder die Siedler auf dem Treck nach Westen mitführten – und von was sie sich ernährten.

Zwischen 1820 und 1920 wanderten 10 Millionen Menschen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz nach Amerika aus. Während einigen Jahrzehnten waren Deutschsprachige die grösste Einwanderer-Gruppe in den USA:
🇩🇪 Deutschland: 5,5 Millionen Einwanderer
🇦🇹 Österreich-Ungarn inklusive Böhmen und Mähren (heute Tschechien), Galizien (heute Polen/Ukraine) sowie Tirol und Steiermark: 600'000 deutschsprachige Einwanderer (plus 3,5 Millionen andere Sprachen)
🇨🇭 Schweiz: 400'000 Einwanderer
Sie flohen vor wirtschaftlicher Not (Missernten, Hungersnöte, Arbeitslosigkeit) sowie politischer und religiöser Verfolgung (siehe meine Reportage «Amische und Mennoniten in den USA: Bauern zwischen Bibel und Babylon»).
Deutschsprachige Einwanderer waren eine prägende Kraft in der Siedlungsgeschichte der USA. Sie zogen mit wenig Besitz in den Wilden Westen. Was sie mitbrachten, war weit wertvoller als Geld: Erfahrung mit Ackerbau, Viehzucht und Handwerk, einen starken Glauben – und den Willen, ganz von vorn anzufangen.

«1883» zeigt den Treck der europäischen Siedler in den Wilden Westen authentisch
Die Western-Serie «1883» zeigt das Schicksal des Trecks einer solchen deutsch-osteuropäischen Siedlergruppe (und der angelsächsisch-irischen Familie Dutton). Diese machen sich im titelgebenden Jahr mit Planwagen auf eine sechs Monate lange Reise von Texas nach Montana respektive Oregon.
«1883» ist ein Riesenerfolg. Der Serienstart 2021 war mit über 10 Millionen Zuschauern die erfolgreichste Premiere im US-Kabelfernsehen. Und jede Wiederholung erreichte noch einmal 2,5 Millionen US-Zuschauer (bei uns ist «1883» beim Pay-TV-Anbieter Sky zu sehen).
Das raue, emotionale Western-Drama überzeugt durch authentische Bilder, starke Figuren und eine düstere Erzählweise. Die Serie zeigt die Herausforderungen durch Krankheiten und Hunger, Banditen und andere Gesetzlose, Naturgewalten und indigene Völker.
Historiker ziehen den Hut vor der Authentizität – von der Kleidung über die Waffen und Planwagen bis zum (oft fehlenden) Essen.
Viele Fans dieser Serie fragen sich aber: Wie hält es «1883» mit den «landwirtschaftlichen» Fakten? Zum Beispiel mit den gezeigten Pferden und Rindern? Das möchte ich herausfinden. Let’s hit the trail and find out!

«1883» zeigt Fort Worth so schmutzig, laut und gefährlich, wie es tatsächlich war
Das 1849 gegründete Fort Worth (heute mitten im 8 Millionen Einwohner zählenden Metropolraum Dallas-Fort-Worth-Metroplex) war 1883 ein pulsierender Umschlagplatz für Vieh und Hoffnungen.
Einerseits war Fort Worth eines der grössten Viehhandels-Zentren der USA. Alleine 1883 wurden 200’000 Rinder von Cowboys nordwärts nach Kansas oder Colorado getrieben, noch einmal 300’000 Rinder auf die Eisenbahn in den Mittleren Westen verladen.
Andererseits war Fort Worth der Ausgangspunkt für unzählige Siedler, die im Wilden Westen ihr Glück suchten – und von denen viele verhungert, verunfallt oder ermordet auf der Strecke blieben.
Der Geruch von Vieh, Dung und Blut hing in Fort Worth Tag und Nacht in der Luft.
«In the saloons, whorehouses, and gamblin’ dens of Hell’s Half Acre, you won’t find no angels — just cowboys, drifters, and outlaws chasin’ luck or a fistful o’ cash.»
(Im Vergnügungsviertel «Hell’s Half Acre» («ein halber Hektar Hölle) fand man kaum Unschuldsengel. Stattdessen trieben sich in den Saloons, Bordellen und Spielhöllen Cowboys, Glücksritter und Gesetzlose herum. Immer auf der Suche nach dem Glück oder Reichtum.)
Für «1883» verwandelte Produzent Taylor Sheridan das heutige Fort Worth mit einem schier unglaublichen Aufwand über mehrere Wochen in sein rauhes, staubiges altes Ich.
Ganze Strassenzüge wurden in das 19. Jahrhundert zurückversetzt: Moderne Elemente entfernt, die Strassen mit staubigem Sand aufgefüllt und sogar roh behauene Randsteine verlegt, um Authentizität zu erreichen.
Eine neue Authentizität, die ironischerweise erhalten bleibt. Rückgebaute Gebäude wie der «White Elephant Saloon» behielten nach den Dreharbeiten ihre historische Fassade und tragen so wieder zum authentischen Flair des Stockyard-Viertels bei.
Die Dreharbeiten von «1883» dauerten so lange wie ein Siedler-Treck im 19. Jahrhundert
Die Strecke von Fort Worth (Texas) in das Paradise Valley südlich von Livingston (Montana) beträgt 2'600 Kilometer, nach Oregon sogar 3’300 Kilometer.
Die Route der Siedler führte im 19. Jahrhundert durch die grösstenteils unerschlossene, trockene Prärie der Great Plains und die Rocky Mountains nach Montana.
Bei einer Tagesleistung von 15 bis 20 Kilometern, wie sie für Planwagen-Trecks üblich war, dauerte diese Reise fünf bis sechs Monate – wenn das Wetter, Gesundheit und Gelände mitspielten.
Die Dreharbeiten für «1883» dauerten von August 2021 (in Texas) bis Ende Januar 2022 (in Montana) lange fünf Monate. Der Grund dafür: Produzent Taylor Sheridan arbeitete für die realistischen Bilder konsequent «on location».
Der Film-Treck zog wie 1883 quer durchs Land, Wetter und Tiere diktierten das Tempo. Gedreht wurde bei Hitze in Texas, später bei Minusgraden und Schnee in Montana. Schauspieler und Crew sprachen von den «körperlich härtesten» Arbeiten ihrer Karriere.

«1883» hat die Planwagen mit weissen Leinen-Verdecken verschönert
Die Planwagen («Prairie Schooners») wurden damals speziell für den Treck der Siedler nach Westen gebaut. Aber nicht in Fort Worth, sondern 1000 bis 1500 Kilometer weiter nordöstlich im Mittleren Westen.
Alleine die Firma Studebaker des deutschstämmigen John Staudenbecker baute in Saint Joseph (Missouri) im Jahr 1883 über 75’000 «Prairie Schooners» und verkaufte diese für 80 bis 150 Dollar – drei Monatseinkommen eines lokalen Arbeiters.
Der Wagenkasten war aus Hartholz wie Hickory und Eiche, die Räder mit Eisenreifen beschlagen. Darüber wurde eine Plane aus Leinen oder Baumwolle gespannt.
Die «Prairie Schooner» wurden meist von zwei bis vier Ochsen oder Maultieren gezogen. Beladen waren sie mit bis zu 1’800 Kilogramm Vorräten, Kleidung, Werkzeug, Saatgut, Kochutensilien und manchmal auch Möbeln.
Die in der Serie «1883» gezeigten «Prairie Schooners» entsprechen den Planwagen der Siedler dieser Zeit. Allerdings sind die weissen Planwagen-Verdecke (wie in allen Western-Filmen) historisch nicht korrekt.
Der Baumwoll- oder Leinenstoff wurde damals mit Leinöl und Terpentin imprägniert. Das machte den Stoff regenfest – aber brandgefährlich – und er bekam eine intensive gelbe Farbe. Die weissen Verdecke sind aus Sicht der Kameramänner ein besserer Kontrast zum gelben Staub der Prärie.


«1883» hat neben Texas Longhorns auch Herefords in die Rinderherde genommen
Ende des 17. Jahrhunderts wurden im heutigen Texas einige Texas Longhorns mit spanisch-portugiesischem Ursprung freigelassen, wo sie verwilderten. Im 19. Jahrhundert waren sie in Texas weit verbreitet. Sie sind tough as nails (hart im Einstecken wie ein Nagel), hitzeresistent und zum Laufen geboren.
Die Siedler von «1883» kauften in Fort Worth eine Herde von etwa 40 Rindern, welche Hauptdarstellerin Elsa Dutton (gespielt von Isabel May) mit zwei Cowboys hinter den Planwagen treiben.
Erkennbar sind Longorns und (vermutlich) Hereford-Rinder oder moderne Kreuzungen, erkennbar am rotbraunen Fell mit weissem Kopf und ihrem kompakten, fleischigen Körper.
Die in der Serie «1883» gezeigte gemischte Herde mit Longhorns und anderen Rindern hätte den Treck nicht nur verlangsamt, sondern auch das Risiko erhöht.
Herefords wurden erst in den 1880er-Jahren in die USA eingeführt. Sie und moderne Kreuzungen get heatstroke quicker than a lizard on a hot rock (bekommen schneller einen Hitzschlag als eine Eidechse auf dem heissen Stein). Sie ermüden schneller, brauchen mehr Futter und mehr Wasser.
Ausserdem waren Rinder nicht billig. 1883 kostete ein Rind 10 bis 25 US-Dollar, Milch- oder Zuchttiere bis 30 US-Dollar. Eine solche Herde hätte Hunderte bis Tausende von US-Dollar gekostet – viel mehr, als die armen Siedler in der Tasche hatten.

In «1883» reitet Hauptdarstellerin Elsa Dutton auf einem «zu schönen» Palomino-Pferd
In der Western-Serie «1883» sind verschiedene Pferdetypen zu sehen – darunter auffällig viele Palominos (bei uns als Isabelle bekannt). Palominos sind keine eigene Rasse, sondern eine auffallend helle Fellfarbe. In der Serie hebt ihre hübsche Palomino-Stute Hauptdarstellerin Elsa Dutton aus der Masse hervor.
Die anderen Siedler spannen dunkle Pferdetypen oder Mischlingspferde vor ihre Planwagen – oft sogenannte «grade horses», also Kreuzungen. Wie schön die Pferde auf dem Treck waren, interessierte weniger. Sie mussten robust, genügsam und ausdauernd sein. Pferde, denen schlechte Wege und noch schlechteres Futter nichts ausmachen. Giddy up!
Typische Pferdetypen für den Treck nach Oregon oder Montana im Jahre 1883 waren:
Mustangs: Nachfahren von spanischen Pferden. Sehr widerstandsfähig, klein, zäh – oft von Indigenen oder ärmeren Siedlern genutzt.
Quarter Horses: Verbreitet im Westen, vor allem für Viehtrieb genutzt.
Draft Crosses: Kreuzungen aus Zugpferden und leichteren Rassen, vor die Planwagen gespannt und als Reittiere.
Morgan Horses: Kompakte, kräftige Pferde, im Westen nur vereinzelt zu sehen.
Einige in der Serie «1883» gezeigten Pferde sehen im Film schön aus, sind aber untypisch für die Pionierzeit im Wilden Westen. Insbesondere die Palominos mit ihrem goldenen Fell und flachsblonder Mähne.
Die American Quarter Horse-Stute von Elsa Dutton hat zwar eine schöne Palomino-Fellfarbe, hätte den strengen Treck aber kaum überstanden.
Authentischer wären unscheinbare, robuste Arbeitspferde gewesen. Oder wie weiter oben erklärt, historisch korrekter sogar Ochsen und Maultiere.

«1883» zeigt die Ernährung auf dem Treck genauso eintönig, wie sie damals war
Die Ernährung auf einem Treck im Jahr 1883 war karg und monoton. Das Essen durfte nicht schnell verderben und musste den Magen füllen:
«Mornin’s we get warm mush, noon it’s cold mush, and come supper, it’s the scraps — if luck’s on our side, maybe with a sliver o’ bacon»
(«Morgens gibt es warmen Brei, mittags kalten Brei, abends die Resten – wenn es gut läuft, mit einem Stück Speck.»)
Haferbrei oder Maisbrei waren typische Nahrungsmittel auf einem Siedler-Treck – einfach, sättigend und lange lagerfähig.
Haferbrei: als Flocken oder grob geschrotet, meist mit Wasser gekocht, manchmal mit etwas Salz oder Fett.
Maisgrütze oder -Griess («grits»): besonders im Süden der USA verbreitet, ergiebig und haltbar.
Mehl-Wasser-Gemische («slapjacks» oder «flapjacks»): als Brei oder als Pfannkuchen («pancakes») in der Pfanne gebacken.
Mitgeführte Rinder wurde nur im äussersten Notfall geschlachtet. Stattdessen jagten die Siedler Wildtiere wie Hasen, Hirsche, Vögel oder Präriehühner.
Die in der Serie «1883» gezeigten Nahrungsmittel der Siedler sind authentisch. Die Ernährung auf einem Treck war ein ständiger Kampf gegen Hunger, verdorbenes Essen und verschmutztes Wasser.
Die Siedler essen einen Brei aus Blechschüsseln. Das ist absolut realistisch – auch wenn der Brei wohl selten so appetitlich aussah, wie im Film.
Dass Elsa Dutton einen Bison schiesst, ist zwar eindrucksvoll – aber historisch eher unwahrscheinlich: Zu dieser Zeit waren die grossen Bisonherden entlang der Treck-Routen praktisch ausgerottet.
Wie in der Serie gezeigt, wurden als Notnahrung auch Klapperschlangen gegessen. Auch das Sammeln von Beeren, Wurzeln oder Wasserpflanzen war üblich – davon sieht man in der Serie allerdings wenig.
«1883» zeigt den Treck der Siedler im Wilden Westen zwischen Mythen und Mühsal
«1883» ist kein Dokumentarfilm. Die Serie zeigt einen romantisierten, aber überraschend detailgetreuen Wilden Westen. Viele Kritiker loben die Serie für ihre realistische Darstellung des Pionierlebens und für ihre authentischen Erzählungen.
Sicher, einige Details sind geschönt, sie glänzen wie das Versprechen eines Predigers. Details wie die weissen Wagenplanen, Pferde mit goldenem Fell und flachsblonder Mähne oder eineHauptdarstellerin, deren lange blonden Haare nach Monaten im Staub immer noch leuchten. Aber das bedeutet nicht, dass der Kern von «1883» nicht realistisch ist.
Die Western-Serie «1883» zeigt die Geschichte der Siedler auf dem Treck glaubwürdig. Der Treck in den Westen war kein Abenteuerroman. Er war ein Kampf gegen Hunger, Hitze und Hoffnungslosigkeit. «1883» zeigt das in einer Dichte, wie es bislang kaum ein Western getan hat.