Amische und Mennoniten in Indiana (USA): Bauern zwischen Bibel und Babylon
In den USA betreiben Glaubensgemeinschaften der Täufer eine Landwirtschaft wie vor 300 Jahren. Es sind Amische und Mennoniten, deren Vorfahren aus der Schweiz und Deutschland emigriert sind.
Nur 200 Kilometer östlich vom Sündenpfuhl Chicago, wo im Stadtteil Westside Drogen und Waffen leichter erhältlich sind als gesundes Essen, produzieren Täufer die schmackhafte Milch, frisches Gemüse und knuspriges Brot wie vor über 300 Jahren.
Während die halbe Welt wie das alte Babylon in Krieg, Lügen und Elend zu versinken droht, pflegen 100’000 Täufer um die Städte Shipshewana und Goshen die biblischen Werte ihrer Vorfahren: Mennoniten und Amische, die vor der Verfolgung aus Deutschland und der Schweiz geflüchtet sind.
Sie tragen bis heute traditionelle Kleidung und Schweizer Familiennamen wie Hostettler, Joder, König, Läderach, Stutzmann und Wenger.
Scheinbare Unabhängigkeit von moderner Technologie
Die meisten Täufer haben weder Telefon im Haus noch Anschluss an das öffentliche Elektrizitätsnetz. Stattdessen erzeugen Diesel-Generatoren «unabhängigen» Strom. Kühlschrank, Kochherd, Ofen und Lampen werden mit Gas betrieben. Gearbeitet wird im wahrsten Sinne des Wortes mit 1 PS – einer Pferdestärke.
Diese scheinbare Unabhängigkeit von moderner Technologie kann man belächeln. «Aber so verhindern wir auch die Zerstörung von Hunderten von Landwirtschaftsbetrieben», erklärt mir ein amischer Landwirt, während er sein Pferd aus dem Stall holt.
«Südlich von Shipshewana wird im Tagbau Kohle abgebaut für Kraftwerke. Der Tagbau zerstört lokale Landwirtschaftsbetriebe und die Kohle-Kraftwerke stossen Schwefeloxide aus, die als saurer Regen unsere Felder, Wälder und Seen vergiften.»

Die meisten Amischen und Mennoniten sind Landwirte
Die Landwirtschaft spielt im Leben der Täufer-Gemeinschaften eine zentrale Rolle – als Kern ihrer Selbstversorgung und ihrer kulturellen Identität. Über 90 Prozent der Amischen und ein Grossteil der Mennoniten in den USA sind in der Landwirtschaft beschäftigt. Sie wirtschaften mit traditionellen Anbaumethoden in den Betriebszweigen:
Getreide: Mais, Weizen, Hafer, Gerste (als Grundnahrungsmittel für ihre Gemeinschaften)
Gemüse und Obst: Kartoffeln, Tomaten, Zwiebeln, Karotten, Kürbisse, Äpfel, Pfirsiche und Beeren (für den Eigenverbrauch, Überschüsse werden oft auf lokalen Märkten verkauft)
Viehzucht: Rinder für Fleisch und Milch, Schweine und Geflügel, aber auch Schafe oder Ziegen (für den Eigenverbrauch und für den Verkauf auf lokalen Märkten, wo die Produkte für ihre Qualität geschätzt werden)
Für Täufer ist die Landwirtschaft Berufung und religiöse Verpflichtung
Die Täufer haben traditionell nur so viel Land, wie sie mit ihrer Familie bewirtschaften können. Rund 30 Hektaren können Vater und Sohn mit ihren Pferden problemlos bearbeiten.
Denn Täufer verzichten auch in der Landwirtschaft auf moderne Technik. Die Bindung zwischen Mensch und Tier spielt eine entscheidende Rolle in ihrer Lebensphilosophie. Genauso wie die Landwirtschaft, zu der Mennoniten und Amische eine lange und tiefe Verbindung haben:
Sie betrachten sich als Hüter der Schöpfung und die Landwirtschaft als eine Berufung. Ackerland zu bebauen und zu bewahren ist für sie eine religiöse Verpflichtung.
Deshalb geben sie die landwirtschaftliche Lebensweise von Generation zu Generation weiter.
Die Landwirtschaft ist für den Zusammenhalt ihrer Gemeinschaft von grosser Bedeutung.
Mit der Landwirtschaft können die Täufer ihre Familien ernähren und gleichzeitig wirtschaftlich unabhängig leben.
Die Mennoniten-Familie Weaver lebt zwischen zwei Welten
Die Mer-Su Dairy Farm ist nach ihren Besitzern Merlin (42) und Susanna (42) Weaver benannt, welche die Farm mit 39 Hektaren 2007 kauften. Merlin ist in vierter Generation Farmer. «Ich bin in der Mennoniten-Gemeinschaft hier in Goshen aufgewachsen, in der die Landwirtschaft einfach zum Leben gehört.»
Die Farm ist ein für Mennoniten typischer Landwirtschafts-Betrieb. So wie Merlin und Susanna Weaver mit sieben Kindern zwischen zwanzig und vier Jahren eine typische Mennoniten-Familie sind:
Die beiden ältesten Söhne Laverne (17) und Eric (10) arbeiten auf dem Landwirtschafts-Betrieb mit.
Nur Tochter Lynelle (20) arbeitet nicht auf dem Landwirtschafts-Betrieb der Familie. Die junge Frau ist Layouterin und Fotografin in einem nahe gelegenen Versandhaus, wo sie Kataloge gestaltet.

Im Freilauf-Stall der Mer-Su Dairy Farm stehen 240 Holsteiner Milchkühe. Daneben halten sie in einem zweiten Freilauf-Stall noch 120 trocken gestellte Kühe und Rinder.
Die Kühe bekommen eine Totale Mischration TMR (Futtermischung) aus Mais-Silage, Heu, gemahlenem Mais, Baumwoll-Körnern sowie Sojaschrot und Sojaschalen. Ausser Baumwoll-Körnern, Sojaschrot und Sojaschalen wird alles auf dem eigenen Betrieb angebaut. Diese TMR wird täglich mit rund 5 Kilo Kraftfutter pro Kuh ergänzt.
Für ihre Milch bekommen die US-Landwirte nur 35 Rappen pro Kilo
2013 installierte Merlin Weaver vier Lely-Melkroboter, die elektrisch angetrieben werden. «Früher haben wir die Kühe drei Mal pro Tag gemolken. Mit den Melkrobotern kommen die Kühe selbst 2,3 Mal pro Tag zum Melken. Wir haben mit den Melkrobotern weniger Arbeit, die wir für die Feldarbeiten nutzen, und trotzdem haben wir mehr Milch», erklärt der Farmer.
Die 240 Holsteiner Milchkühe geben 12’474 Kilo Milch pro Laktation (in der Regel 305 Tage), also im Zeitraum zwischen der Geburt des Kälbchens und dem sogenannten Trockenstellen. Insgesamt produziert die Mer-Su Dairy Farm 3200 Tonnen Milch pro Jahr. Der Produzentenpreis liegt aber nur bei tiefen 35 Rappen pro Kilo Milch.
Die Milch geht an einen Molkerei-Konzern in Fort Wayne, der 120 Kilometer entfernt «normale» amerikanische Trinkmilch produziert. Und das bedeutet in den USA:
die Milch wird homogenisiert
entrahmt, bis sie nur 0% bis höchstens 2% Fett hat
stabilisiert mit dem Hilfsstoff Carageen aus Rotalgen
versetzt mit Enzymen oder Vitamin D

Die kleine Amish Country Dairy produziert die beste Milch
«Die meisten Amerikaner trinken das, was ich meinen Schweinen in den Trog schütte», wundert sich der Amische Harry Stutzman jr. (70) in Shipshewana, während er mich stolz durch seine Molkerei führt.
Er störte sich daran, dass er für die Milch seiner Holsteiner Kühe nur einen schlechten Produzentenpreis erhielt und diese zu «normaler» Trinkmilch verarbeitet wurde. Deshalb gründete er 2018 zusammen mit Leon Miller aus Goshen sowie Lamar Kuhn und John Schwartz aus Bremen die Amish County Dairy LLC.
Die vier Farmer und dreissig lokalen Investoren bauten auf Stutzmans Farm in Shipshewana ohne Banken und ohne staatliche Unterstützung für 750’000 Dollar eine moderne Milchverarbeitungsanlage. Weil die Molkerei aus religiösen Gründen nicht an das öffentliche Elektrizitätsnetz angeschlossen sein darf, liefern zwei Dieselgeneratoren im Hinterhof den Strom.
Seit November 2020 verarbeitet und vermarktet die Amish Country Dairy ihre eigene Premium-Vollmilch. Nach drei Jahren beliefert sie über 220 Geschäfte in sieben US-Bundesstaaten.
Eine 4,7 dl-Flasche Vollmilch kostet in den Geschäften 3.50 Dollar, umgerechnet 3 Franken. Mit Billig-Milch von Molkerei-Giganten wie Walmart und Meijer oder mit der nur 100 Kilometer entfernten Fair Oaks Farms mit deren 50’000 Holsteiner Milchkühen kann die Amish Country Dairy preislich natürlich nicht konkurrieren, das weiss Harry Stutzman jr.
Die Konsumenten bezahlen aber gerne mehr für natürliche Vollmilch, die besser schmeckt und keine Hilfsstoffe wie Carrageen enthält, die Stutzman mit dem lautmalerischen Begriff «gobbledygook» für Unsinn beschreibt.

Die Amish-Milch mit Kaffee wurde an der World Dairy Expo ausgezeichnet
«Mit den billigen Verkaufspreisen dieser Konzerne können und wollen wir nicht konkurrieren. Aber wir können sie mit dem besseren Geschmack unserer Vollmilch schlagen!» Das erzählt Harry Stutzman jr., während er mir eine Flasche «Cream-Top Whole Milk with Coffee & Maple Syrup» in die Hand drückt und mich zum Trinken auffordert.
«Woahhh!» Kein Wunder, wurde diese Vollmilch mit Kaffee und Ahornsirup an der grössten Milch-Fachmesse der Welt, der World Dairy Expo 2022, als «the world’s best milk» ausgezeichnet. Für eine kleine regionale Molkerei so etwas wie der Ritterschlag.
Heute produziert die Amish Country Dairy sieben Sorten Vollmilch als Mischgetränk: Ganzjährig mit Ahornsirup aus lokaler Produktion, Kaffee oder Schokolade, ja sogar Karamell/Meersalz – im Sommer auch mit lokal angebauten Blaubeeren, Erdbeeren und Pfirsichen (mit jeweils 22 Prozent Fruchtanteil).
Drei Jahre nach der Eröffnung produziert die Amish Country Dairy täglich über 2000 Kilo Milch, 750 Tonnen Vollmilch pro Jahr. Weitere 850 Tonnen werden extern an eine Milch-Genossenschaft weiter gegeben.