Die Kutschen der Amischen in den USA waren früher – Überraschung – leuchtend gelb
Die Amischen in den USA fahren aus religiösen Gründen keine Autos, sondern Pferdekutschen. Diese Buggys waren früher leuchtend gelb. Heute erkennt man an der Farbe der Buggys die Gruppenzugehörigkeit.

Woran denken Europäer beim Stichwort Amische? Zuerst hat man wohl die einspännigen schwarzen «Kutschen» vor Augen, die von einem Traber gezogen werden.
«Unsere Kutschen hatten ursprünglich keine schwarzen Kabinen, es waren offene Planwagen mit einem leuchtend gelben Verdeck», erklärt mir Jacob. Er wird mir dazu mehr erzählen, und das ist nicht selbstverständlich.
Jacob ist ein Amischer in Shipshewana, einem typischen Amischen-Städtchen mit nur 650 Einwohnern im US-Bundesstaat Indiana. Und er willigt nur in das Gespräch ein, weil ich im Berner Oberland wohne, von wo seine Vorfahren vor fast 200 Jahren in die USA gekommen sind.
Zuerst zeigt er mir die verschiedenen «Kutschen»-Modelle der Amischen – die korrekt als Buggy bezeichnet werden:
der Standard-Buggy ist eine geschlossene «Kutsche» mit dem Kutschbock vorne und (an den Seitenwänden) zwei Bänken dahinter.
Der geschlossene Marktwagen ist eine geschlossene «Kutsche» mit dem Kutschbock vorne und einem Laderaum dahinter, wie ein PKW-Kombi.
Der Spring Wagon oder Kabinenwagen ist eine «Kutsche» mit geschlossenem oder mindestens überdachtem Kutschbock vorne und einem offenen Laderaum dahinter, wie ein PKW-Pickup.
Je nach Gruppe und Untergruppe haben die Buggys der Amischen sechs verschiedene Farben
Die Buggys der Amischen waren bis etwa 1850 meist offene Planwagen. «Unsere Vorfahren schützten sich mit einem darüber gespannten Wachs-Tuch gegen Regen und Sonne», erklärt Jacob. Die Standardfarbe der Buggys war im frühen 19. Jahrhundert – Überraschung – ein leuchtendes Gelb. «Gelb war die gängigste Farbe von wasserdichtem Wachstuch.»

Erst mit der Abspaltung verschiedener Gruppen und Untergruppen der Amischen bekamen ihre Buggys andere Farben:
Gelbe Buggys fahren bis heute die Byler-Amischen im Mifflin County, Pennsylvania. Diese zweit-konservativste Untergruppe der Amischen wird deshalb oft als Yellow-Topper bezeichnet. Die Männer erkennt man daran, dass sie ihren Hosenträger nur über einer Schulter tragen.
Weisse Buggys fahren die Nebraska-Amischen, die wohl konservativste Untergruppe der Amischen. Sie sind nicht etwa im gleichnamigen US-Bundesstaat im Mittleren Westen zu Hause, sondern im fast 2000 Kilometer östlich liegenden Mifflin County, Pennsylvania und in Ohio. Ihre Buggys haben wie vor 200 Jahren nur ein Tuch-Verdeck, sind also nicht geschlossen. Die Männer erkennt man daran, dass sie nur weisse Leinen-Hemden tragen.
Verblasstes Gelb (Faded Yellow) Buggys fahren die Amischen in Enon Valley, Pennsylvania. In dieser winzigen Gemeinde mit heute nur 300 Einwohnern lebten Amische mit Wurzeln bei den Nebraska- und Byler-Amischen. Das verblasste Gelb war wohl ein Kompromiss zwischen den beiden Verdeck-Farben Weiss (Nebraska) und Gelb (Byler).
Graue Buggies fahren die Amischen im Lancaster County, Pennsylvania. Weil auch sie andernorts eine neue Gemeinschaft gründen müssen, wenn ihre Gemeinschaft zu gross wird, sind heute sogar in anderen US-Bundesstaaten graue Buggys zu sehen.
Braune Buggys fahren die Amischen in New Wilmington, Pennsylvania und im Montgomery County, New York. Ironischerweise soll sich diese Farbe eingebürgert haben, weil die dortigen Amischen das Segel-Tuch von Zirkuszelten verwendeten.
Schwarze Buggys fahren heute die Mennoniten, aber auch viele der über 40 amischen Gruppen und Untergruppen.
Die Swiss Amish aus dem Berner Oberland und dem Elsass fahren bis heute ohne Verdeck
Völlig aus der Reihe tanzen die Swiss Amish. Diese Amischen sind um 1830 aus dem Berner Oberland und dem deutschsprachigen Elsass in den US-Bundesstaat Indiana ausgewandert, genauer in das Adams County (Berner Amische) und in das Allen County (Elsässische Amische).
Bis heute sprechen sie im Unterschied zu anderen Amischen kein Pennsylvania-Deutsch, sondern einen alten Berner oder Elsässer Dialekt. Und ihre strengen Regeln erlauben keinen Buggy mit Verdeck, höchstens eine geschlossene Box hinten im Wagen, in der die Kinder bei schlechtem Wetter mitfahren können.
Amische leben in «ihrer Welt» in einem Radius von 32 Kilometern
Als nach 1900 die ersten Autos über die Strassen holperten, erschraken die Amischen (und alle anderen Täufer-Gruppen in den USA).
«Mit einem Benzinwagen könnte man den Kontrollbereich unserer Gemeinschaft verlassen», erklärt Jacob. Also verboten die Amischen die Benzinwagen und blieben bei ihren Pferdewagen – und damit im Kontrollbereich von 20 Meilen (32 Kilometern).
Das gilt bis heute: Die mit 8 bis 12 Stundenkilometern flott trabenden Pferdegespanne auf den Buggy Lanes (Seitenstreifen) gehören immer noch zum Strassenbild von Shipshewana. Die Pferde tragen dabei meist Hufeisen mit Widia-Stiften. Diese hochabriebfesten Spikes aus Wolframcarbid sind fast so hart wie Diamanten und verbessern die Traktion der Pferde auf dem Asphalt.
Mit dem Buggy fahren die Amischen zum sonntäglichen Gottesdienst, aber auch zum lokalen Supermarkt. Und mit den grossen Marktwagen oder Kabinenwagen transportieren sie landwirtschaftliche Produkte und sogar Grossvieh.
Für längere Strecken bestellt Jacob einen «englischen Fahrer», also einen Chauffeur mit Fahrzeug, der kein Amischer ist. «Englisch», weil im Unterschied zu den oft angelsächsischen Siedlern in den USA die Amischen ihre Wurzeln in den deutschsprachigen Ländern haben. «Die englischen Fahrer verlangen allerdings mindestens 1 Dollar pro Meile, das können wir uns nicht oft leisten.»

Die Buggys der Amischen sind aussen spartanisch – innen aber oft «weltlich modern»
Gebaut werden die Buggys in Buggy-Manufakturen, die natürlich Amischen gehören. In jedem Buggy stecken rund 70 Arbeitsstunden. So kostet ein fabrikneuer Buggy rund 9000 Dollar. Dafür hält der Buggy aber auch dreissig Jahre, mit mehrmaliger Renovation sogar fünfzig Jahre und länger. «Mein Buggy aus zweiter Hand kostete aber immer noch über 5000 Dollar», klagt Jacob
Die Buggys fahren auf Stahlreifen ohne Gummi-Pneus. Wenn man genau hinschaut, entdeckt man aber, dass die Bescheidenheit der Amischen auch ihre Grenzen hat: Neue Buggys sind aus Fiberglas, haben eine Propangas-Heizung und unzerbrechliche Plexiglas-Scheiben. Oder die Holzkabine hat eine spezielle Holzmaserung.
Im Innern der modernen Buggys kann man ein «Armaturenbrett» für die Lichter und Blinker erkennen. Die Elektrik wird mit Batterien aus dem Baumarkt gespiesen. Weil diese nur gerade zwei, drei Stunden halten, werden auf längeren Fahrten Reservebatterien mitgeführt.
Gebremst werden die Buggys oft mit alten Trommelbremsen oder einfachen Scheibenbremsen aus Schrottautos. Diese sind ideal für die leichten Gefährte, kosten nichts und halten lange. Zudem fallen sie nicht zu sehr auf – es muss ja nicht jeder die moderne Technik sehen.
Die jungen Männer bekommen einen Buggy mit Pferd – die jungen Frauen erwartet Küche, Kirche, Kinder
Zum 16. Geburtstag bekommen die meisten US-amerikanischen Kids ein Auto geschenkt. «Unsere jungen amischen Männer bekommen stattdessen einen Buggy mit Pferd», erklärt Jacob stolz.
Das macht 9000 Dollar für den Buggy, 3000 Dollar für ein typisches American Standardbred (also ein ehemaliges Trabrennpferd) und noch einmal über 500 Dollar für das Pferdegeschirr.
Danach kostet ein einzelnes Pferd den Halter jährlich mindestens 3000 Dollar für Tierarzt und Hufschmied, Futter und andere Ausgaben. Alles in allem kostet das wichtigste «Arbeitsgerät» der Amischen viel Geld.
Für die jungen amischen Frauen bleiben da nur noch – Küche, Kirche, Kinder.

Die Amischen nutzen Brabanter, Percheron, Clydesdale und American Standardbred
Die Arbeitspferde bestimmen auch das Familienleben der amischen Bauernfamilien. Auf dem Feld tränken und füttern sie in der Mittagspause zuerst ihre Pferde, dann isst die Familie gemeinsam zu Mittag.
«Während sich die Pferde ausruhen, ist auch für uns Zeit für den Mittagsschlaf», erzählt mir Jacob, und fügt lachend hinzu: «Und weil Gott keine Pferde mit Scheinwerfern geschaffen hat, arbeiten wir nicht in der Nacht.»
Zum Einsatz kommen neben den American Standardbred verschiedene Kaltblut-Pferderassen, die mit ihrer Kraft und Ausdauer für die Feldarbeit und den Transport geeignet sind:
Brabanter (Belgisches Kaltblut) sind Kraftpakete mit sanftem Charakter und mit ihrer Bereitschaft zu harter Arbeit ideal für die Feldarbeit und das Ziehen schwerer Ausrüstung.
Percheron sind stark, intelligent und anpassungsfähig. Mit ihren ausgezeichneten Fahreigenschaften spannen sie die Amischen vor den Buggy.
Clydesdale sind mit ihrem ausgeglichenen und willigen Charakter als exzellente Zugpferde geschätzt.
American Standardbred (Amerikanische Traber) sind zwar keine Kaltblut-Pferderasse. Mit ihrem ruhigen Temperament setzen sie die Amischen für leichtere landwirtschaftliche Arbeiten ein – und spannen sie gerne vor den Buggy.
Für die Landwirtschaft haben die Amischen die Geschirre und Ackergeräte für ihre Pferde über vier Jahrhunderte ständig weiterentwickelt. «Dabei steht für uns Amische neben der Funktionalität aber das Tierwohl immer im Vordergrund», betont Jacob, bevor er auf den Kutschbock steigt und losfährt. Er hat genug geredet.
Sie möchten mehr erfahren über diese täuferisch-protestantische Glaubensgemeinschaft, die vor allem aus der Schweiz und Süddeutschland in die USA ausgewandert ist? Hier finden Sie meine Reportage über eine mennonitische Farm und eine amische Molkerei im US-Bundesstaat Indiana.
Amische und Mennoniten in Indiana (USA): Bauern zwischen Bibel und Babylon
Nur 200 Kilometer östlich vom Sündenpfuhl Chicago, wo im Stadtteil Westside Drogen und Waffen leichter erhältlich sind als gesundes Essen, produzieren Täufer die schmackhafte Milch, frisches Gemüse und knuspriges Brot wie vor über 300 Jahren.