Dauerregen vernichtet 56 Prozent der Schweizer Bio-Kartoffeln – neue Sorten müssen her
Schweizer Bio-Kartoffel werden 2024 rar: Nach dem verregneten Frühling und Sommer werden 56 Prozent weniger Bio-Kartoffeln geerntet. Bio-Kartoffelbauern suchen jetzt neue, robuste Bio-Kartoffelsorten.

«Wenn die Ernte einer Kartoffelsorte in einem schwierigen Jahr teilweise oder ganz ausfällt, tut es mir im Herzen weh!» Das erklärt Bio-Kartoffelbauer Heinz Höneisen in Andelfingen ZH bedrückt. Und der Klimawandel sorgt dafür, dass es in der Schweizer Landwirtschaft fast nur noch schwierige Jahre gibt.
«2024 hat es von Mai bis Mitte Juli praktisch durchgeregnet», betont Heinz Höneisen, während er mich einen auf einen seiner Äcker führt. Anfang September sind die Böden immer noch – oder schon wieder – schwer und nass. «Unser Traktor mit dem angehängten Kartoffelroder bleibt im nassen Boden fast stecken.»

Heinz Höneisen ist ein Kartoffelbauer mit Leib und Seele
Seit Generationen wirtschaftet die Familie Höneisen im Zürcher Weinland. 1995 spezialisierte sich Heinz Höneisen auf Gemüse und ist dabei zum Kartoffelbauern mit Leib und Seele geworden. 2011 haben Heinz und sein Sohn Martin Höneisen auf Bio umgestellt. Je nach Saison beschäftigt Martin, der den Gemüsebetrieb vom Vater übernimmt, bis 40 MitarbeiterInnen.
Der 50 Hektaren grosse Landwirtschaftsbetrieb liegt an bevorzugter Lage. In einem Bogen der Thur (einem Zufluss des Rheins) hat sich über Jahrhunderte auf einem Sandbett fruchtbares Schwemmland gebildet. Dieser Boden wird im Frühling schnell warm und liefert deshalb gleichzeitig mit dem Tessin und dem Wallis die ersten Frühkartoffeln.

Trotz perfekten Böden wird der Bio-Kartoffelanbau zur Lotterie
Die Bedingungen auf dem Landwirtschaftsbetrieb von Familie Höneisen sind perfekt. Die Kartoffeln der älteren, aber robusten Sorte «Vitabella» wachsen denn auch 2024 gut. Die Ernte der Sorte «Queen Anne» war aber drei Mal kleiner. «Die Queen Anne wäre eine Kartoffel, wie sie die KonsumentInnen gerne hätte, aber sie ist nicht resistent», ist die Erfahrung von Heinz Höneisen.
Dabei sind die Erträge bei den Bio-Kartoffeln schon grundsätzlich 20 bis 40 Prozent tiefer als im konventionellen Anbau. Der Grund: Die Bio-Kartoffelbauern verzichten auf chemisch-synthetische Pestizide und synthetische Dünger.
Höneisen kann seine Bio-Kartoffeln nur mit organischen Kupferpräparaten schützen. Kupfer wird aber bei jedem Regenguss von den Pflanzen abgewaschen – und es ist ein Schwermetall, das sich im Boden über Jahrzehnte anreichert. Heinz Höneisen setzt deshalb auch die Kupferpräparate sehr zurückhaltend ein.

Eine einzige Pflanze mit Kartoffelfäule kann eine Epidemie im ganzen Acker auslösen
«Man kann beim Anbau alles richtig machen, wenn die Kartoffelsorte nicht resistent ist, war alles umsonst», sagt Höneisen. Der Grund ist die Krautfäule (korrekt: Kraut- und Knollenfäule, auch Kartoffelmehltau).
Die Krautfäule verursachte 1845 bis 1849 in Irland eine Hungersnot, durch die eine Million Iren starben und weitere zwei Millionen auswanderten. Irland verlor praktisch über Nacht ein Drittel seiner Bevölkerung.
So schlimm wird es in der Schweiz zum Glück nicht. «Aber trotz langjähriger erfolgreicher Züchtung von robusten Sorten werden 2024 nur halb so viele Bio-Kartoffelernte geerntet, wie in einem normalen Jahr», erklärt Andreas Bisig, Abteilungsleiter Märkte bei Bio Suisse.
Der Marktanteil von Bio-Kartoffeln im Schweizer Detailhandel beträgt 22.8 Prozent. Die Inland-Produktion von 18’500 Tonnen Bio-Kartoffeln für den Frischkonsum auf 1063 Hektaren kann in normalen Erntejahren die Nachfrage decken.
Im «Regenjahr» 2024 müssen aber 13’000 Tonnen Bio-Kartoffeln importiert werden. Nur: Woher nehmen, wenn nicht stehlen? Auch in den Nachbarländern ist die Kartoffelernte ins Wasser gefallen.
Heinz Höneisen zeigt eine mit Krautfäule befallene Kartoffelpflanze: Durch die Nässe haben die Blätter dunkelbraune Flecken und sind auf der Unterseite mit einem weissen «Schimmel»-Pilz bedeckt.
Dieser Pilz befällt die Knollen, die graublaue Flecken und braunes Knollenfleisch bekommen. Schon eine einzige infizierte Kartoffel kann eine Epidemie im gesamten Acker auslösen. Der Ertragsverlust beträgt dann 30 bis im schlimmsten Fall 100 Prozent.

Jede Saison werden bis 50 neue, auch robuste Bio-Kartoffelsorten getestet
«Der Anbau von Bio-Kartoffeln funktioniert auch in schwierigen Jahren wie 2024», erklärt Tobias Gelencsér. Dann relativiert der Ackerbauberater am Forschungsinstitut für biologischen Landbau FiBL, «aber nur mit besonders robusten Sorten.»
Das FiBL führt mit LandwirtInnen und mit Unterstützung der Branche seit 1996 sogenannte «On-Farm» Kartoffel-Sortenversuche durch. Dafür fährt Tobias Gelencsér mit Kartoffelbauern wie Höneisen jedes Jahr im November an die «Kartoffeltage» im niederländischen Emmeloord und bringen 40 bis 50 neue resistente Bio-Sorten zurück.

Diese neuen Bio-Sorten werden auf dem Acker, im Lager und in der Küche getestet. Dann müssen «nur noch» die KonsumentInnen die neue Kartoffelsorte akzeptieren. Was der schwierigste Teil der Aufgabe sei, wie Brancheninsider verraten. Denn die KonsumentInnen wollen genug grosse – aber nicht zu grosse – längliche Kartoffeln, weil sie sich diese leichter schälen lassen, als kleine, runde Kartoffeln.
Den Kartoffelbauern kostet «eine neue Bio-Kartoffelsorte 3.50 Franken pro Kilogramm Pflanzgut», erklärt Heinz Höneisen. Für eine einzige Hektare braucht Höneisen 3000 Kilogramm Kartoffel-Pflanzgut. Da kommt eine grosse Summe zusammen. Ohne Garantie auf Erfolg, «wenn die neue Sorte resistent ist, aber nicht so viel Ertrag bringt wie andere Kartoffelsorten.»

Die Suche nach neuen Bio-Kartoffelsorten ist ein Wettlauf gegen die Zeit
Ein Geschäftspartner von Heinz Höneisen ist der grosse Bio-Gemüsebetrieb Rathgeb Bio in Unterstammheim ZH, der zusammen mit rund 60 eigenständigen Bio-Landwirtschaftsbetrieben vor allem Coop und Migros beliefert.
Dort baut Andreas Rüsch auf einem eigenen Versuchsfeld verschiedene Bio-Kartoffelsorten an. Der Leiter Anbau und Gewächshausbetriebe bei Rathgeb Bio testet jedes Jahr die 40 bis 50 neue Kartoffelsorten. Darunter auch die besonders resistenten, die Tobias Gelencsér vom FiBL von den «Kartoffeltagen» in den Niederlanden in die Schweiz bringt.
In ganz Europa war aber 2023 witterungsbedingt auch die Ernte von Pflanzkartoffeln sehr schlecht. Rüsch erhielt deshalb nur von der Hälfte des Pflanzgutes der 40 bis 50 Versuchssorten, die man eigentlich testen wollte. In «normalen» Jahren kann er von diesen Versuchssorten ein bis drei neue Bio-Sorten in die eigentliche Produktion übernehmen.
«Die beste Kartoffelsorte im Sinne einer eierlegenden Wollmilchsau gibt es aber nicht», betont Andreas Rüsch. «Die Kartoffel ist ein Naturprodukt, dem mehr oder weniger enge Grenzen von Genetik und Umwelt gegeben sind.»
Und zum Schluss kommt noch der Faktor Zeit hinzu: Die Entwicklung einer neuen Kartoffelsorte dauert von der Kreation bis zur Verfügbarkeit des Pflanzgutes auf dem Markt zehn bis fünfzehn Jahre und kostet vier Millionen Franken.