Der Emmentaler AOP Mild ist reif für ein Comeback mit festem Biss und dezenter Süsse
Rund 60 Prozent vom Schweizer Nationalkäse Emmentaler AOP werden nur 4 Monate gereift, statt wie früher 18 bis 36 Monate. Dieser junge Käse ist gummig und schmeckt nichtssagend. Das soll sich ändern.

Kurz & bündig
Der Emmentaler AOP steckt in der Krise: Die Produktion ist seit 1950 um 73 Prozent eingebrochen, seit dem Jahr 2000 haben vier von fünf Emmentaler-Käsereien aufgegeben.
60 Prozent vom Schweizer Nationalkäse reifen als Emmentaler AOP Mild nur vier Monate, meist in Industriehallen statt in traditionellen Käsekellern – und schmecken laut Fachleuten mild bis nichtssagend.
Während die Sortenorganisation Emmentaler Switzerland auf Influencer und die Markenkampagne «Share a piece of you» setzt, kämpfen Traditionalisten und Wissenschaftler für einen Emmentaler mit Charakter.
Die Traditionalisten reifen ihren Emmentaler mindestens 18 Monate im feuchten Reifekeller. Innovative Wissenschaftler «erfinden» einen neuen, jungen Emmentaler mit festem Biss und dezenter Süsse.
Im Reifekeller riecht es nach feuchtem Holz und würzig-salzig nach Käserinde. Der Schweizer «Käse-Papst» Rolf Beeler zieht ein Fichtenholzbrett mit einem Emmentaler aus den Regalen, klopft mit dem Käsehammer gegen die Rinde und lauscht. Es tönt dumpf, hohl und wenig resonant.
«Dieser Laib ist noch sehr jung. Er muss 18 Monate reifen, bis er als Emmentaler AOC Séléction Rolf Beeler aus dem Keller kommt. Je länger er reift, desto dunkler wird seine Rinde und desto rezenter sein Geschmack.» Dann schiebt Beeler den Käselaib wieder zurück ins Regal.
Ein so lange im feuchten Keller gereifter Emmentaler AOP ist aber die Ausnahme.
Brancheninsider schätzen, dass 60 Prozent der Schweizer Emmentaler-Produktion nach nur vier Monaten als Emmentaler AOP Mild verkauft werden. Und das ist ein Problem. Im Falle der 90 Kilo schweren Emmentaler Käselaibe im wörtlichen Sinne ein grosses Problem.

Der Emmentaler AOP Käse ist ein Problemfall
Der Schweizer Emmentaler steht vor einer existenziellen Krise. Die Nachfrage nach Emmentaler AOP ist seit Jahrzehnten rückläufig, sowohl im Inland (34 Prozent der Verkäufe) als auch im Export (66 Prozent der Verkäufe):
🧀 1950: Produktion 50‘000 Tonnen (geschätzt)
🧀 1980: Produktion 35‘000 Tonnen (geschätzt)
🧀 2000: Produktion 17‘500 Tonnen
🧀 2024: Produktion 13'342 Tonnen
Seit 75 Jahren ist die Produktion des Emmentalers um 73 Prozent gesunken. Da half auch die geschützte Ursprungsbezeichnung AOP (Appellation d’Origine Protégée), wenig, die der Emmentaler 2006 erhielt.
Drei Gründe sind dafür verantwortlich:
📉 Die industrielle Produktion mit nur vier Monaten Reifezeit, deren Resultat gemäss Brancheninsidern ein «Gummi-Emmentaler» ist: Sensorisch mild bis nichtssagend, geschmacklich mit zu wenig Süsse und Nussigkeit – und vor allem ohne Umami (Würzigkeit).
📉 Die Konkurrenz durch ausländische Imitate wie Fol Epi (Frankreich), Leerdamer (Niederlande) und Jarlsberg (Norwegen) sowie der fehlende Markenschutz in der EU.
📉 Das Image des Emmentalers, den auch viele KonsumentInnen als in der Konsistenz zu gummig und im Geschmack zu langweilig empfinden.
Während Emmentaler früher der beliebteste Schweizer Käse war, bevorzugen die KonsumentInnen heute andere Sorten wie den Gruyère AOP oder die erwähnten ausländischen Emmentaler-Imitate.
In 25 Jahren haben 80 Prozent aller Emmentaler-Käsereien ihre Produktion aufgegeben
Im Jahr 2000 gab es schätzungsweise noch 500 Emmentaler‑Produzenten, 2012 waren es nur noch 149. Und im Jahr 2025 produzieren nur noch 95 Käsereien den Schweizer National-Käse. In diesen 25 Jahren haben 424 Emmentaler-Käsereien (80 Prozent) ihre Produktion eingestellt.
Als auch der Molkereikonzern Cremo Ende April 2025 die Produktion des «chronisch defizitären» Emmentaler AOP einstellte und stattdessen den «wirtschaftlich erfolgreichen» Gruyère AOP produziert, war die Schnappatmung in den Büros von Emmentaler Switzerland bis auf die Strasse hinaus hörbar.
Es sollte noch schlimmer kommen: Ende Juni 2025 beendet ausgerechnet die Emmentaler Schaukäserei in Affoltern im Emmental ihre Produktion von Emmentaler AOP. Die Schaukäserei hatte 2024 mit der Produktion von Emmentaler AOP einen Verlust von 320‘000 Franken eingefahren.
Kritik an der Sortenorganisation Emmentaler Switzerland kommt aus den eigenen Reihen
Früher war im Schweizer Käsehandel alles geregelt: Mengen, Preise, Werbung. Die Schweizerische Käseunion machte den Emmentaler gross.
Dann kam 2007 das Freihandelsabkommen im Käsebereich mit der EU. Seither ist der Käsehandel zwischen der Schweiz und der EU vollständig liberalisiert – keine Zölle und keine Mengenbeschränkungen mehr. Stattdessen begann ein ruinöser Wettbewerb.
«Every man for himself, and the devil take the rest» (Jeder für sich und zum Teufel mit dem Rest) wurde zur Devise. Kleine Käsereien konnten da nicht mithalten. Und wie das Beispiel des Molkereikonzerns Cremo zeigt, sind jetzt auch die grossen Produzenten an ihre Grenzen gekommen.
Die Sortenorganisation Emmentaler Switzerland versuchte nach 2007 Ordnung zu schaffen. Gemäss Brancheninsidern reagierte sie dabei «zögerlich bis mutlos, statt proaktiv Qualität und Tradition neu zu denken».
Kleine und traditionelle Emmentaler-Käser werfen der Sortenorganisation vor, zu wenig für die Qualität zu tun. Etwa wegen mangelnder Unterstützung für Qualitäts-Käsereien, zu starker Industrialisierung oder fehlender Differenzierung zwischen Standard- und Spitzenprodukten.
Selbstverständlich habe ich die Sortenorganisation Emmentaler Switzerland gefragt, wie sie auf diese Kritik reagiert. Leider habe ich trotz mehrmaliger Nachfrage keine Antwort erhalten.
In der Zwischenzeit erklärte ein Landwirt in der «Bauernzeitung»: «Wir haben interne Probleme beim Handel und der Sortenorganisation Emmentaler Switzerland. Wir müssen besser darauf hören, was die Konsumenten wollen, müssen offen sein für Neues. Jetzt braucht es Mut. Wir müssen Risiken eingehen und nicht alles schlecht reden.»

Ein Blick zurück, als Emmentaler der beliebteste Schweizer Käse war
Der Emmentaler war bis etwa 1960 der König unter den Schweizer Käsen. Und das nicht nur, weil seine gewaltigen Käselaibe zehn Mal grösser sind als jene der meisten anderen Schweizer Käsesorten.
Die heute 90 Kilo schweren Käselaibe sind ein gutes Beispiel dafür, dass die früheren Emmentaler Käser mit Bauernschläue auf den Markt reagierten: Weil Zar Nikolaus I. von Russland ab 1850 die Importzölle nicht mehr nach Gewicht, sondern pro Stück berechnete, vergrösserten die Emmentaler ihren Käse von 14 Kilo auf über 100 Kilo pro Laib.
Nur kräftige Käserknechte konnten diese schweren Emmentaler-Laibe mit Muskelkraft heben. Auf den feuchten Fichtenbrettern im Reifekeller wurden die Laibe nicht getragen, sondern gerollt, geschoben oder mit Tüchern gezogen. Um einen Käselaib aber vom Reifekeller hinaus zum Pferdekarren zu tragen, brauchte es zwei Käserknechte.

Der Schweizer «Käse-Papst» Rolf Beeler rechnet mit dem Emmentaler ab
Der Emmentaler war ein Symbol für Schweizer Käse und ein Synonym für Schweizer Qualität. «Was heute aber als Emmentaler verkauft wird, ist oft nur ein gummiger Industriekäse», kritisiert Rolf Beeler, Spezialist zur Veredelung von Käse.
Der Schweizer «Käse-Papst» nimmt kein Blatt vor den Mund: «Da entwickelt sich kein Charakter, kein Duft, keine Tiefe. Ein so grosser Käse braucht im Minimum 12 Monate Reifezeit, besser noch 18 bis 24 Monate.»
Rolf Beeler plädiert für eine Besinnung auf die Stärken des Schweizer Emmentalers (die ersten zwei Punkte erfüllt jeder Emmentaler AOP):
🧀 Emmentaler AOP Kühe fressen nur Heu und Gras – und keine Silage (durch Milchsäuregärung konserviertes Grünfutter)
🧀 Emmentaler AOP wird aus frischer Rohmilch hergestellt – und nicht aus pasteurisierter Milch
Wenn es nach Beeler geht, würde im Pflichtenheft für den Emmentaler AOP auch stehen:
🧀 Emmentaler AOP soll mindestens 12 Monate in feuchten Reifekellern gepflegt werden – und nicht 4 Monate in Plastikfolie gepackt in klimatisierten Industriehallen
«Der Emmentaler AOP könnte als gesundes Premiumprodukt aus Rohmilch, mit langer Reifung und nachhaltiger Produktion erfolgreich sein. Wenn er wieder so schmeckt, wie der Emmentaler aus meiner Kindheit», sagt Rolf Beeler.

Food-Influencer werben bei den Millenials für den Emmentaler AOP
Wenn es um die Produktionsbedingungen geht, zeigt Emmentaler Switzerland aber wenig Lust auf Veränderungen. Die Sortenorganisation versucht stattdessen, die neue Zielgruppe der Millenials (Jahrgang 1980 bis 2000) zu erschliessen und lanciert neue Produkte:
«Chäs-Griller» («Bratwürste» aus Emmentaler-Käse)
«Emmentaler AOP-Scheiben hauchfein» (wie Fol Epi)
«Chäs-Knopf» im Brotregal (eine Art kleine Pizza)
Um die Millenials anzusprechen, lud die Sortenorganisation 2023 zwei Dutzend Influencer von Instagram und TikTok zu einer Medienkonferenz auf einem hippen Campingplatz am Zürichsee ein. Genau genommen Food-Influencerinnen: Hafermilchblass, porentief inszeniert, pastellgekleidet.
Ihnen gegenüber stand Schwingerkönig Matthias Sempach (Schwingen ist der traditionelle Schweizer Kampfsport, bei dem zwei Männer in speziellen Zwilchhosen auf Sägemehl versuchen, sich mit Griffen und Schwüngen auf den Rücken zu legen).
Sempach Mättu, wie er unter Schwingern heisst, ist der perfekte Emmentaler-Markenbotschafter: Ein naturgebräuntes, 194 Zentimeter grosses Muskelpaket mit Oberarmen wie Holzofenbrote. Geduldig erklärte Sempach Mättu den Influencerinnen, wie der Emmentaler produziert wird.
Für diesen Event und die Markenkampagne «Share a piece of you» mit coolen TV-Spots erhält die Sortenorganisation von Marketing-Fachleuten ein Lob:
«Ein ursprüngliches Produkt wie der Emmentaler muss durch Emotionen verkauft werden», da seien der Schwingerkönig, Food-Influencerinnen und die stimmigen «Share a piece of you»-Videos die richtigen Meinungsmacher.

Drei Szenarien für den Emmentaler AOP der Zukunft
Und so stehen sich heute zwei Seiten gegenüber:
Auf der einen Seite die Sortenorganisation Emmentaler Switzerland, welche die modernen Produktionsmethoden nicht ändern möchte, sondern auf cooles Marketing setzt.
Auf der anderen Seite die traditionellen Emmentaler-Käser und Käse-Veredler wie Rolf Beeler, die ihren Emmentaler AOP in feuchten Reifekellern mindestens 12 Monate pflegen.
Wobei – es gibt noch eine dritte Seite:
«Der Emmentaler hat eine Zukunft», ist Marie-Therese Fröhlich-Wyder überzeugt, «aber nur, wenn man den Mut zur Änderung hat». Sie arbeitet seit 1999 in der Forschungsgruppe «Käsequalität, Kulturen und Terroir» der Schweizer Forschungsanstalt Agroscope.
Als Konkurrenz von Fol Epi, Leerdamer und Jarlsberg entwickelte die Lebensmittelingenieurin mit ihrem Team den Emmentaler Dolce. Fruchtig, nussig und mit Umami-Tiefe (Ich war bei den Versuchen dabei und kann im September 2025 verschiedene Emmentaler Dolce Varianten degustieren).
Ob der Emmentaler Dolce jemals produziert wird, ist aber ungewiss. Unabhängig vom Emmentaler Dolce gibt es zum Glück gut gereifte Emmentaler-Sorten wie:
🧀 Emmentaler AOP Höhlengereift (intensiv), 12 Monate Reifezeit
🧀 Emmentaler AOP Eidgenoss (kräftig), 14 Monate Reifezeit
🧀 Emmentaler AOP Gotthelf Slow Food (charaktervoll), 12-15 Monate Reifezeit
🧀 Emmentaler AOP Urrtyp (sehr intensiv), 12-15 Monate Reifezeit
🧀 Emmentaler AOP Extra (extra würzig), 12-36 Monate Reifezeit
Ein 18 Monate gereifter Emmentaler mit dunkelbrauner Rinde und einem wuchtigen Duft
Zurück in den feuchten Reifekeller vom «Käse-Papst». Rolf Beeler zieht einen besonderen Emmentaler-Laib aus dem Regal. 18 Monate gereift. Die Rinde dunkelbraun, der Duft wuchtig. «Das hier ist mein Stolz.»
Wie schon beim jungen Emmentaler klopft er beim Emmentaler AOC Séléction Rolf Beeler mit dem Käsehammer gegen die Rinde und lauscht. Diesmal tönt es klar, trocken und voll – mit einer resonanten, fast metallisch-festen Klangfarbe.
«Das liegt an der dichteren, festeren Käsemasse, der reduzierten Feuchtigkeit und der starken Lochbildung, die den Klang zusätzlich luftiger, aber markanter macht», erklärt Rolf Beeler.
Er zieht die Bohrnadel aus dem Laib und bietet mir ein Stück vom Probezapfen an. Es schmeckt erdig, mit holzigem Aroma und dezenter Süsse. Emmentaler, wie er einmal war. Und vielleicht wieder sein könnte. «Wir müssen dem Emmentaler nur Zeit und Zuwendung geben.»

Der Emmentaler AOP auf einen Blick
✅ Immer grössere Emmentaler
Ein Emmentaler Käselaib ist 90 Kilo schwer. Der Grund: Russland verlangte im 19. Jahrhundert die Zölle pro Stück – also vergrösserten die schlauen Emmentaler ihre Käselaibe von 14 Kilo auf 90 Kilo.
✅ Immer weniger Emmentaler
Die Emmentaler-Produktion ist seit 1950 um 73 Prozent eingebrochen – von 50'000 auf 13'342 Tonnen.
✅ Immer weniger Emmentaler-Käsereien
In den letzten 25 Jahren haben 424 Emmentaler-Käsereien ihre Produktion aufgegeben – ein Rückgang um 80 Prozent.
✅ Immer kürzere Reifezeit
Rund 60 Prozent der Laibe reifen nur vier Monate – gemäss Kritikern ist dieser Emmentaler AOP Mild gummig und schmeckt nichtssagend.
✅ Das Comeback des Emmentalers
Traditionelle Emmentaler-Käser und Käse-Veredler pflegen ihren Emmentaler AOP in feuchten Reifekellern mindestens 12 Monate.
Und Agroscope-Wissenschaftler arbeiten an einem Emmentaler Dolce, der mit innovativen Produktionsmethoden in nur 4 Monaten mit festem Biss und dezenter Süsse aus dem Reifekeller kommt.
Vielen Dank! Ich hatte früher immer mit Vorliebe Schweizer Emmentaler gegessen, weil der deutsche nach garnix geschmeckt hat. Bis ich dann das Gefühl hatte, dass auch der Schweizer nach nix mehr schmeckt. Jetzt weiß ich auch, warum das so ist.
J’aime beaucoup votre article, car il me rappelle les débuts des AOP en Suisse, à une époque où nous avons établi les interprofessions. Tous les outils existent pour mener des actions de positionnement sur les marchés en ajustant la qualité la quantité et avec des prix indicatifs. Tout cela me rend très triste : un fromage millénaire qui perd son caractère, des fromageries de village, âme de leur communauté, qui ferment par centaine, producteurs de lait qui destinent leur lait à des produits sans identité locale, quel immense faillite de la branche fromagère, colonne vertébrale de l’économie paysanne en Suisse.
Tout ce désastre est le reflet d’une incapacité à s’organiser collectivement. La taille de la zone AOP est peut-être en cause. Resserrer les liens et partir des fondamentaux pourrait aider !