Ein neues Mähgerät schont Insekten und Kleinlebewesen in Strassenböschungen
Strassenböschungen werden mit Mäh-Mulch-Maschinen gemäht, die Insekten und Kleinlebewesen zerhacken. Das muss nicht sein: Neue Extensiv-Böschungsmäher schonen die Biodiversität. MIT VIDEO!

Auf den ersten Blick sieht der Unimog U435 nicht wie ein Fahrzeug aus, das beim Mähen von Strassenböschungen Insekten und Kleinlebewesen schont: Die Schnecken in einer Böschung stellen sich dem riesigen Kraftprotz mit 354 PS unter der Motorhaube und 7 Tonnen Gewicht trotz schützendem Schneckenhaus besser nicht in den Weg.
Der Unimog fährt deshalb nicht auf der Böschung, sondern daneben auf der Strasse. Mit einem flexiblen Ausleger setzt er seinen Extensiv-Böschungsmäher im hohen Gras auf. Extensiv, weil dieser Böschungsmäher die Biodiversität schont.
Um das zu erklären, müssen wir das Problem aus Distanz betrachten – was sich bei einem Böschungsmäher grundsätzlich empfiehlt, wie mein Video zeigt.
Das gesamte Strassennetz der Schweiz ist 85’000 Kilometer lang, vielerorts mit Böschungen. Diese schräg abfallenden Seitenflächen sind ein geotechnisches und sicherheitsrelevantes Element:
Böschungen fangen bei einem Autounfall das Fahrzeug sanfter auf als Mauern
Böschungen verteilen den Druck von schweren Fahrzeugen wie Lastwagen und der Strasse selbst besser auf den Boden
Böschungen leiten das Regenwasser und Schmelzwasser ab, was eine Bodenerosion verhindert
Und was oft vergessen geht: Böschungen bieten einen idealen Lebensraum für viele Tierarten und Pflanzenarten.
Mäh-Mulch-Maschinen schaden der Biodiversität auf den Strassenböschungen
Zur Pflege dieser Böschungen werden heute meist Mäh-Mulch-Maschinen eingesetzt. Diese «rasieren» mit 5 bis 15 Stundenkilometer im Vorbeifahren die Böschungen ab. Das gemähte Pflanzenmaterial könnte zu einer Biogasanlage oder Kehrichtverbrennung transportiert werden. Das kostet aber mehr, als wenn man es liegen lässt.
Deshalb wird das Pflanzenmaterial während dem Mähen gemulcht (zerkleinert) und hinten wieder ausgeworfen. Alle Lebewesen, die den Schnitt und das Zerhacken überlebt haben, werden spätestens von der schweren Walze des Mulchers dahinter platt gemacht.

Das liegen gebliebene Pflanzenmaterial reichert die Böschungen mit Nährstoffen an. Was besser tönt, als es ist: Viele Böschungen sind Magerwiesen, also nährstoffarme und damit «magere» Böden. Auf ihnen wachsen Pflanzenarten, die auf den intensiv genutzten landwirtschaftlichen Flächen immer seltener werden.
Böschungspflege und Biodiversität – das ist ein schier unlösbarer Zielkonflikt:
Wenn man die Böschungen mit Mäh-Mulch-Maschinen mäht, zerstört man die Magerwiesen mit ihrer Tierwelt und Pflanzenwelt.
Wenn man die Böschungen nicht mäht, wachsen sie mit Büschen und Bäumen zu. Und das würde den Lebensraum Magerwiese für spezialisierte Pflanzen, Insekten und Kleinlebewesen auch zerstören.

Der neue Extensiv-Böschungsmäher schont Tierwelt und Pflanzenwelt
«Es muss für dieses Problem eine technische Lösung geben», sagte sich Niklaus Schnider. Der gelernte Landmaschinenmechaniker und heutige Key Account Manager von Unimog konstruierte einen Extensiv-Mähbalken, der die bodennahen Tiere und Pflanzen schont.
Unterstützung holte sich Niklaus Schnider bei der Firma Wepfer Technics in Andelfingen ZH. Hans Wepfer hat schon 2020 ein Mähwerk mit dem schnittigen Namen «Swissblade» entwickelt. Dieses unterscheidet sich stark von Kreiselmähern oder Mulchern:
Herkömmliche Mäh-Mulcher schlagen mit rotierenden Klingen oder Schlegeln das Gras durch ihre Drehbewegung ab. Diese rotierenden Mulcher sind zwar schneller, sie zerhacken aber die Insekten und Kleinlebewesen.
«Swissblade» bewegt zwei übereinander liegende «Messer» mit scharfen «Zähnen» blitzschnell horizontal hin und her. Diese «Messer» schneiden die Pflanzen schonend ab und verletzen dabei nur wenige Insekten und Kleinlebewesen.



Niklaus Schnider verbaut diesen Mähbalken in ein Anbaugerät, das perfekt auf seinen Unimog U 435 abgestimmt ist. Das Universal-Motor-Gerät – so der vollständige Name des Unimog – ist mit 3 Meter Höhe riesig – mit nur 2.20 Metern Breite aber schlank und rank.
Damit kommt man bei der Böschungspflege überall durch, auch auf engen Strassen in den Voralpen. Ich konnte den Extensiv-Böschungsmäher nämlich zuhinterst im Entlebuch testen.

Wie funktioniert der innovative Extensiv-Böschungsmäher?
Flühli-Söhrenberg ist mit 108 Quadratkilometer Fläche die grösste Gemeinde des Kantons Luzern. Diese Fläche wird mit 105 Kilometer Strassen erschlossen, deren Böschungen die Gemeinde Ende Oktober gerade frisch gemäht hat.
Ich durfte den Unimog mit dem Extensiv-Böschungsmäher deshalb auf dem Birkenhof testen, einem Landwirtschaftsbetrieb auf 1200 m ü. M. inmitten von Moor-Biotopen.
Von der Fahrerkabine aus setzte ich den flexiblen Ausleger mit dem Extensiv-Böschungsmäher im hohen Gras auf. Dieser kombiniert vier innovative Bauteile:
Zuvorderst der «Swissblade», der daumendicke Äste glatt durchschneidet. Trotzdem oder gerade deswegen schneidet er die Pflanzen schonend ab. Bei 10 Zentimetern Schnitthöhe werden so weniger Insekten und Kleinlebewesen zerhackt.
Gleich hinter dem «Swissblade» nehmen flexible Kunststoff-Zinken das Pflanzenmaterial auf. Die Zinken aus rotem Kunststoff sind für die Insekten und Kleinlebewesen weniger «schlagkräftig» als Federstahl-Zinken.
Das Pflanzenmaterial wird von den Kunststoff-Zinken in den Häcksler geführt, wo es zerkleinert und über einen Schlauch in einen Container gesaugt wird. Dieser Container auf der Unimog-Ladefläche fasst 14 Kubikmeter, was der Hälfte eines 20-Fuss-ISO-Containers entspricht.
Wer das Pflanzenmaterial auf der Bodenoberfläche liegen lassen möchte, öffnet hinten am Extensiv-Böschungsmäher eine Klappe. Wie schon erwähnt, ist das kostengünstiger und schonender für Insekten und Kleinlebewesen – aber kontraproduktiv für die Biodiversität.
Direkt nach meiner Testfahrt habe ich die frisch gemähte Strassenböschung nach Insekten und Kleinlebewesen abgesucht. Dabei habe ich Hunderte von Schnecken und andere Kleinlebewesen völlig unbeschadet im stehengebliebenen Gras gefunden. Der Extensiv-Böschungsmäher hat den Test bestanden.

Forschungsprojekt für biodiversitätsschonende Mähtechniken
Die Kombination von Extensiv-Böschungsmäher und Unimog ist nicht das erste Projekt dieser Art. In den vergangenen Jahren kamen einige Mäher für die Böschungspflege auf den Markt, welche die Biodiversität schonen sollen. Zur Wirksamkeit dieser Maschinen gibt es aber kaum belastbaren Daten.
Deshalb haben die Strassenbehörden der deutschsprachigen Länder ein DACH-Forschungsprojekt zu biodiversitätsschonenden Mähern lanciert:
In Deutschland die Bundesanstalt für Strassenwesen BAST
In Österreich die Autobahnen- und Schnellstrassen-Finanzierungs-Aktiengesellschaft ASFINAG sowie das Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie BMK
In der Schweiz das Bundesamt für Strassen ASTRA
Durchgeführt wird das Forschungsprojekt von der Agentur Nateco in Gelterkinden BL gemeinsam mit der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften ZHAW.
Unterstützt werden die Forscher von einer Begleitgruppe mit Vertretern von Behörden und Betrieben der drei Länder. Die Nationalstrassen Nordwestschweiz NSNW und der Kantonsstrassenunterhalt des Kantons Aargau stellen Versuchsflächen, Mähmaschinen und Personal für die Versuche zur Verfügung.
Das Ziel des Projektes ist die Entwicklung einer standardisierte Test-Methode zur Prüfung von Mähmaschinen auf ihre Auswirkungen auf die tierische und pflanzliche Biodiversität. Mit dieser Methode sollen die existierenden Mäher getestet werden. Die daraus erhaltenen Impulse sollen für die Weiterentwicklung der Maschinen an die Hersteller weitergegeben werden. Erste Ergebnisse soll es 2026 geben.