Gründüngung: Pflanzen, die der Bauer nicht erntet – die aber Boden und Ertrag verbessern
Gründüngung in der regenerativen Landwirtschaft bedeutet: Pflanzen wachsen, ohne dass sie geerntet werden. Sie schützen den Boden, bauen Humus auf und speichern Nährstoffe sowie Kohlenstoff CO₂.

Kurz & bündig
Gründüngung in der regenerativen Landwirtschaft: Pflanzen wie Klee, Senf oder Sonnenblumen werden nicht geerntet, sondern füttern den Boden.
Gründüngung baut Humus auf und speichert Kohlenstoff CO₂.
Gründüngung schützt den Boden vor Abschwemmung durch Regen und Austrocknung durch Sonne.
Gründüngung bietet Nahrung und Schutz für Regenwürmer, Insekten und unzählige Mikroorganismen.
Gründüngung braucht keinen Kunstdünger, sie ist der Dünger.
Sven Studer kniet zwischen zwei Feldern mit Körnermais und Gründüngung. Zuvor hatte er einen Streifen freigelegt, um mir zu zeigen, warum Gründüngung zu den wichtigsten Werkzeugen der regenerativen Landwirtschaft gehört.
Die Gründüngung erntet er nicht. Er walzt sie nieder, zerkleinert sie, arbeitet sie oberflächlich in den Boden ein und «steuert» sie mit einem Präparat aus Mikroorganismen gegen Fäule. Damit macht Studer den Boden für die folgenden Kartoffeln, Getreide oder Gemüse nährstoffreicher, lockerer und widerstandsfähiger.
«Gründüngung ist keine Vergeudung, sondern die Basis. Sie gibt dem Boden seine Vitalität zurück.» – Sven Studer.
Sven Studer gehört zu den Schweizer Pionieren der regenerativen Landwirtschaft. Ein Hype-Begriff, der viel verspricht und wenig erklärt. Und genau diese Erklärung suche ich im Gespräch mit Studer. Was bedeutet Gründüngung – und weshalb ist sie so besonders?
Was ist Gründüngung und warum ist sie so besonders?
Die Idee der Gründüngung ist leicht zu verstehen: Es sind Pflanzen, die gesät werden, ohne dass man sie später erntet. Die gemähte und zerkleinerte Gründüngung bringt Nährstoffe in den Boden, so das sich Humus aufbauen kann. Dieser dunkle, krümelige Stoff ist die Grundlage für fruchtbaren Ackerboden.
Die Wirkung der Gründüngung reicht aber weit über Dünger hinaus. Eine geschlossene Pflanzendecke schützt den Boden vor Abschwemmung durch Regen und Austrocknung durch Sonne. Gleichzeitig bietet sie Nahrung und Schutz für Regenwürmer, Insekten und unzählige Mikroorganismen.

Jede Pflanze in einer Gründüngungs-Mischung hat ihre besondere Funktion:
Gräser und Klee wurzeln tief und lockern den Boden.
Hülsenfrüchtler holen Stickstoff direkt aus der Luft und machen in Pflanzenverfügbar.
Kreuzblütler decken den Boden rasch ab und bremsen die Erosion.
Korbblütler (Guizotia) und Buchweizen wachsen schnell und schliessen Lücken.
Sorghum bildet besonders viel Grünmasse, die später zu Humus wird, und produziert sehr grosse Mengen an Wurzelexudaten (Futter für Bodenlebewesen).
In der regenerativen Landwirtschaft ist das entscheidend. Die Böden sollen aktiv wieder aufgebaut werden. Gründüngung ist dabei einer der wichtigsten Hebel: Sie macht sichtbar, dass Landwirtschaft nicht nur ernten, sondern auch reparieren kann – leise, unauffällig, aber wirksam.

Regenerative Landwirtschaft ist inspiriert von der Landwirtschaft um 1900
Blenden wir ein Jahrhundert zurück, in eine Landschaft ohne Traktoren, ohne Kunstdünger, ohne Pflanzenschutzmittel. Auf den Feldern arbeiten Pferde und Ochsen, Männer schwingen Sensen, Frauen binden Garben. Der Alltag der Bauern um 1900 war mühsam – und doch funktionierte er in geschlossenen Kreisläufen.
Im Frühling werden Mist und Gülle der Kühe aus dem Stall auf das Feld gebracht, nichts geht verloren. Im Sommer fressen die Kühe die Begrünungen. Was hinten rauskommt – Mist und Gülle – düngt den Acker. Klee und Gräser werden nicht nur als Viehfutter ausgesät. Ihre Wurzeln durchziehen und lockern den Boden. Das Feld ist zugleich Futterquelle, Nährstoffspeicher und Produktionsfläche.
Die Bauern damals wussten nichts von Stickstoff-Fixierung durch Knöllchen-Bakterien oder Kohlenstoff-Speicherung. Doch praktisch hatten sie das Prinzip verstanden: Wer den Boden füttert, kann auch in Zukunft ernten.
Es war eine Landwirtschaft, die sich stark am Rhythmus der Natur orientierte. Langsam, sparsam und auf Dauer angelegt. «Vor 125 Jahren war es einfach Bauernlogik», sagt Sven Studer, «heute nennen wir es regenerative Landwirtschaft.»

Die Wissenschaft bestätigt, was die Praktiker vor 125 Jahren und heute wieder wissen
Mit dem Bagger hat Sven Studer in einem seiner Felder eine Bodenprofil-Grube ausgehoben. Auf dem neu gepachteten Feld muss er den Boden zuerst aufbauen. Zusammen mit Gerhard Weisshäupl, dem österreichischen Pionier der regenerativen Landwirtschaft, erklärt mir Studer das Profil:
Eine erste dünne Humus-Schicht (20 Zentimeter) ist gut durchwurzelt.
Die noch dünnere Schicht darunter (10 Zentimeter) hat kaum Humus, ist aber noch durchwurzelt.
Darunter eine Schicht (40 Zentimeter) mit Ton, Sand und Steinen mit nur noch vereinzelten Wurzeln.
Im tiefer liegenden Bereich hat es nur noch Sand und teilweise grosse bis sehr grosse Steine.
Die Wissenschaft bestätigt, was mir Studer auf dem Feld mit Körnermais und Gründüngung zeigt: Gründüngung macht den Boden fruchtbarer, stabiler und lebendiger. Studien in der Schweiz, in Deutschland und Österreich zeigen das übereinstimmend.
Langzeitversuche des Forschungsinstitutes für biologischen Landbau FiBL und der Universität Hohenheim zeigen: Gründüngung ist kein Allheilmittel, aber ein fester Baustein nachhaltiger Systeme.
Sie reduziert den Einsatz von Mineraldünger, stabilisiert Erträge und erhöht die Widerstandskraft gegen Trockenheit und Starkregen. Wie stark diese Effekte sind, hängt jedoch vom Standort, der Gründüngungs-Mischung und dem Klima ab.

Der Ring-Infiltrationstest zeigt den Unterschied zwischen humusreichem und verdichtetem Boden
Mit dem Ring-Infiltrationstest demonstriert Sven Studer eindrücklich den Unterschied zwischen einem humusreichen, regenerativ bewirtschafteten Boden (Gründüngung) und einem verdichteten Boden (Maisfeld).
Auf beiden Flächen – Gründüngung und im Maisfeld – drückt er einen Metallring einige Zentimeter tief in den Boden. Dann füllt er beide Ringe mit der gleichen Menge Wasser.
Beim humusreichen Boden versickert das Wasser in sieben Minuten. Im verdichteten Boden steht das Wasser nach einer Viertelstunde immer noch bis zum Rand im Ring.
Die Gründüngung hat nicht «nur» Stickstoff eingelagert und Humus aufgebaut. Sie hat den Boden gelockert und durchlässig gemacht. Im nächsten Jahr profitiert die Folgekultur – ob Kartoffeln, Weizen oder Mais – von einem Boden, der stabiler, feuchter und nährstoffreicher ist.

Gründüngung ist kein Lückenfüller, sondern eine Kultur mit eigenem Wert im Jahresrhythmus
«Die meisten Felder liegen nach der Ernte einfach brach», erklärt Studer, während wir zu einem Feld mit einer sehr artenreichen Gründüngung gehen. «Mit der regenerativen Landwirtschaft lassen wir die Fläche nicht stillstehen, wir lassen sie arbeiten.»
Er bückt sich, zieht ein junges Kleepflänzchen der Gründungs-Mischung aus der Erde und zeigt die feinen Knöllchen an den Wurzeln. «Hier passiert die eigentliche Magie – Bakterien, die Stickstoff aus der Luft binden. Kein Dünger der Welt kann das so gut.»
In der regenerativen Landwirtschaft ist Gründüngung kein Lückenfüller, sondern eine Kultur mit eigenem Wert im Jahresrhythmus:
Die Gründüngung wird mit gleicher Sorgfalt angebaut wie eine Hauptkultur.
Die Gründüngung ist vielseitig mit mindestens 10 Pflanzenarten aus den drei Hauptgruppen Gräser, Hülsenfrüchtler und Kreuzblütler.
Die erste Gründüngung wird vor dem Blühen in den Boden eingearbeitet, weil sie ab diesem Zeitpunkt Energie aus dem Boden zieht.
Die zweite Gründüngung ist eine winterharte Zwischenfrucht wie Wicke oder Roggen.

Gründüngung als Klimaschützer
Mitten im Feld mit der Gründüngung sticht Sven Studer mit dem Spaten ein Stück Bodenprofil heraus. Oben ist der Erdklumpen dunkelbraun und krümelig, darunter heller und fester. «Je dunkler die Schicht, desto mehr Humus – und desto mehr Kohlenstoff CO₂ steckt hier drin.»
Ackerboden ist einer der grössten Kohlenstoff-Speicher überhaupt. Die Gründüngungs-Pflanzen nehmen CO₂ aus der Luft auf und speichern es in ihren Wurzeln und Blättern. Wird die Gründüngung gemäht und zerkleinert, werden die wertvollen Nährstoffe «lebend verbaut» (von der Mikrobiologie umgesetzt) und daraus entstehen Humus und Nährstoffe für die Pflanzen.
Mehr Humus bedeutet weniger CO₂ in der Atmosphäre und mehr Fruchtbarkeit im Boden. Studer bricht einen Brocken dunkler Erde vom Bodenprofil ab und sagt: «Der Humus wirkt wie ein Schwamm. Er speichert Wasser für Trockenperioden und bindet Nährstoffe, die sonst ins Grundwasser ausgewaschen würden.»
Grenzen der Gründüngung
«Gründüngung ist gut für den Boden», sagt Sven Studer, «aber sie kostet Zeit, Fläche und Geld.» Gutes Saatgut für Gründüngungs-Mischungen ist zwar nicht teuer, das Anbauen und Pflegen ist aber ein grosser Aufwand.
Regenerative Landwirtschaft verlangt Schulungen, teilweise neue Maschinen und eine längere Umstellungsphase.
Gründüngungs-Mischungen müssen sorgfältig gewählt, zur richtigen Zeit eingesät und später wieder eingearbeitet werden. Das erfordert Erfahrung und zusätzlichen Arbeitsaufwand.
Die positiven Wirkungen auf Humus-Aufbau oder Biodiversität werden meist erst nach Jahren sichtbar. Für Betriebe, die unter jährlichem Kostendruck stehen, ist das schwer umzusetzen.
Kritiker warnen deshalb vor einer Verklärung der regenerativen Landwirtschaft. Studer widerspricht nicht. «Es stimmt, regenerative Landwirtschaft ist nicht für jeden Hof problemlos machbar. Aber wenn wir nur auf kurzfristige Erträge schauen, verlieren wir das Wichtigste: den Boden selbst.»
Sven Studer kippt den Erdklumpen wieder in das Loch, das er mit dem Spaten gestochen hat. «Für die Landwirtschaft der Zukunft wird die regenerative Landwirtschaft mit ihrer Gründüngung so selbstverständlich sein wie vor 1900 – nur mit dem Unterschied, dass wir heute wissen, warum.»