Mit dem «Dolce» wird ein junger Emmentaler-Käse neu erfunden: Fruchtig, nussig, frech
Der junge Emmentaler Dolce schmeckt fruchtig, nussig und hat herzhafte Umami-Tiefe. Er wird entwickelt, um «Kopien» wie Fol Epi, Maasdamer und Jarlsberg Paroli zu bieten. Und: Er hat das Zeug dazu.

Kurz & bündig
In der Agroscope-Versuchskäserei in Bern tüfteln Käser und Forscher an einem jungen Emmentaler, der Emmentaler-Kopien wie Fol Epi, Maasdamer und Jarlsberg Paroli bieten soll.
Der junge Emmentaler Dolce soll schmecken wie früher – fruchtig, nussig, mit Umami-Tiefe statt gummiger Langeweile.
Mit alten Bakterien und neuer Sensorik will die Forschungsgruppe von Agroscope dem Nationalkäse seine Seele zurückgeben.
Noch wird der Emmentaler Dolce weiter entwickelt – aber ich konnte ihn testen und weiss jetzt: Der Käse ist noch nicht gegessen.
Mit geübtem Griff schneidet Käsermeister Florian Loosli in der Versuchskäserei der Schweizer Forschungsanstalt Agroscope den Emmentaler-Laib in zwei Hälften. Es ist einer von 16 Laiben, die er mit verschiedenen Rezepturen vor vier Monaten gekäst und seither gepflegt hat.
Seit 25 Jahren forscht die Lebensmittelingenieurin Marie-Therese Fröhlich zum bekanntesten Käse der Welt. Das Ziel: Ein neuer, junger Emmentaler. Aber nicht irgendeiner:
«Das hier wird unser Emmentaler Dolce», erklärt Marie-Therese Fröhlich, «ein Emmentaler Mild – aber eben nicht wie man ihn heute kennt.»
In nur vier Monaten Reifezeit soll der junge Emmentaler Dolce Aromen entfalten, die einem zwölf Monate gereiften Emmentaler AOP in nichts nachstehen.
Das italienische Wort «Dolce» steht für Sanftheit, Süsse und Leichtigkeit. Kulinarisch meint es: weiche Aromen, zarte Texturen – und Genuss ohne Schärfe. Genau das will dieser junge Emmentaler sein.

Heute wird der junge Emmentaler AOP mit «angezogener Handbremse» gereift – und genau so schmeckt er auch
Bis in die 1970er-Jahre legten die Emmentaler-Käser die Laibe drei bis sechs Tage lang in ein Salzbad. Damit wurde ein natürlicher Salzgehalt von 0,7 bis 1 Prozent erreicht. Anschliessend reifte er vier Monate in der feuchten, kühlen Luft des Käsekellers.
«Heute wird der Emmentaler AOP Mild mit angezogener Handbremse gereift», erklärt Marie-Therese Fröhlich. Er soll schnell fertig, aber lange haltbar sein – das geht nur, wenn man den Reifeprozess künstlich abbremst.
Die heutigen Emmentaler AOP Mild Käse-Laibe werden mit einer langsam gärenden Propionsäurebakterien-Kultur und speziellen Milchsäurebakterien gereift. Dadurch erhalten die Emmentaler eine schöne und gleichmässige Lochung – aber viele Aromen, die sich mit anderen Reifungskulturen entwickeln würden, bleiben auf der Strecke.
«Emmentaler mit wenig Salz schmeckt weniger würzig, weniger rund – teilweise sogar leer im Abgang», schreibt Marie-Therese Fröhlich im Dossier «Das Kochsalz-Dilemma beim Emmentaler-Käse». «Der Geschmack ist weniger komplex und hat weniger Tiefe.»
Oder wie es der Schweizer «Käse-Papst» Rolf Beeler in meiner Reportage zur Emmentaler-Krise pointiert sagte: «Was heute als Emmentaler AOP verkauft wird, ist oft nur ein gummiger Industriekäse. Da entwickelt sich kein Charakter, kein Duft, keine Tiefe.»









Das Ziel ist ein junger Emmentaler mit dem Geschmack eines reifen Emmentaler AOP
Ziel der Agroscope-Forscher ist ein junger Emmentaler – aber mit dem Geschmack eines länger gereiften Emmentaler AOP. Das Projektteam um Marie-Therese Fröhlich verändert dazu gezielt drei Produktionsparameter:
🧂 Der Salzgehalt wird auf 0,7 bis 1 Prozent erhöht – wie in den 1970er-Jahren. Heute liegt er bei nur 0,5 Prozent.
🧫 Der Einsatz des Lactobacillus helveticus. Dieses Bakterium macht den Käse geschmeidiger und aromatischer. Lactobacillus helveticus wurde (der Name helveticus sagt es) in der Schweiz «entdeckt». Ironischerweise ist der Emmentaler AOP heute weltweit einer der wenigen Käse des Typs Emmentaler, die ohne dieses Bakterium hergestellt werden.
🧫 Verwendung einer Propionsäurebakterien-Kultur, die Succinat bildet, einen natürlichen Geschmacksverstärker.
🌡️ Die Ausziehtemperatur des Käsebruchs (Temperatur der «Käsekörner» in der Molke) wird auf von 45 Grad Celsius gesenkt. Heute liegt sie bei 52 Grad Celsius. So bleibt der Teig feuchter, die Textur weicher.
«Wir wollen wissen: Können wir mit diesen vier Parametern den Reifeprozess so steuern, dass der Käse ein intensiveres Aroma bekommt?», erklärt Marie-Therese Fröhlich.
Ihre Antwort steckt in den 16 Emmentaler Käse-Laiben, die Käsermeister Florian Loosli gerade halbiert und für die Degustation zu Käsewürfeln schneidet.

Der Emmentaler Dolce schmeckt fruchtig, nussig mit einem rezenten Aroma
Für die Degustation liegen gleichmässig geschnittene Käsewürfel von 16 Versuchs-Laiben in anonymisierten Plastiktellern. Die Forschungsgruppe beurteilt akribisch die sensorischen Eindrücke.

Ihre Eindrücke notieren die ForscherInnen direkt in einer eigens entwickelten Smartphone-App. Nach dem Motto «What Happens in Vegas, Stays in Vegas» bleiben die Bewertungen intern und nur die besten Varianten werden weiter verfolgt.
Meine Eindrücke vom Emmentaler Dolce darf ich aber hier teilen:
Aussehen: Die Lochung ist – je nach Variante – gleichmässig, aber lebendig. Einzelne «Ausreisser» haben durch das von Propionsäure-Bakterien gebildete CO₂-Gas Risse entwickelt.
Textur: Der Teig der meisten Varianten ist geschmeidig, fast cremig im Biss.
Geruch: Frisch wie warme Milch direkt aus der Kanne, weich und rund in der Nase. Leicht buttrig, dezent heuartig mit nussigen Noten.
Geschmack: Ein fruchtiges, nussiges, fein rezentes Aroma. Ich schmecke auch eine Umami-Note, eine herzhafte Tiefe, wie man sie sonst nur von länger gereiften Emmentalern kennt.
Gesamteindruck: Die besten Varianten des Emmentaler Dolce erinnern mich an den jungen Emmentaler von früher – wie beim Bergheuen in den 1970er-Jahren. Perfekt zu knusprigem Bauernbrot und einem Glas Saurem Most.

Der Emmentaler Dolce vereint Elemente von Fol Epi, Maasdamer und Jarlsberg – aber mit Charakter
Bis die Agroscope-Forschungsgruppe den Emmentaler Dolce im wörtlichen Sinne zur Markreife bringt, wird es noch dauern. Und die Zeit spielt für die Konkurrenz.
Seit 1950 ist die Schweizer Emmentaler-Produktion um 73 Prozent eingebrochen. Und rund 60 Prozent des Schweizer Nationalkäses wird als Emmentaler AOP Mild verkauft. Genaue Zahlen veröffentlicht Emmentaler Switzerland nicht.
Die Konkurrenten sind importierte Schnittkäse wie Fol Epi, Maasdamer und Jarlsberg – alle weicher, süsslicher, gefälliger als der Emmentaler AOP Mild.
🧀 Fol Epi (Frankreich)
Der Fol Epi wird seit 1992 industriell hergestellt. Er reift 4 bis 6 Wochen und schmeckt mild, süss, nussig mit fast buttriger Note. Besonders bei Familien und Kindern ist er beliebt. Der französische Emmentaler-Konkurrent ist geschmacklich unterkomplex, im Biss weich und elastisch.
🧀 Maasdamer (Niederlande)
Der Maasdamer wird seit 1983 industriell hergestellt. Er reift 4 bis 12 Wochen und schmeckt mild bis leicht süsslich, oft buttrig, nussig und sahnig. Der niederländische Emmentaler-Konkurrent ist weich, zugänglich und wegen seines höheren Wassergehaltes geschmeidiger im Biss.
🧀 Jarlsberg (Norwegen)
Der Jarlsberg wird seit 1956 industriell hergestellt. Er reift 12 Wochen und schmeckt mild, leicht süsslich, mit einem Hauch Nuss. Der norwegische Emmentaler-Konkurrent ist cremiger als Maasdamer, etwas fester im Biss als junger Emmentaler, aber insgesamt zurückhaltend im Aroma. Typisch ist eine feine, kaum salzige Note.
Die Agroscope-ForscherInnen sind überzeugt: Noch ist der Käse nicht gegessen
Der Emmentaler Dolce könnte die Antwort der Schweiz auf diese Importkäse sein, die den Emmentaler AOP Mild längst abgehängt haben.
Er zielt darauf ab, aromatisch dichter zu sein als die ausländischen Schnittkäse – mit fruchtigen, nussigen und würzigen Noten bei kürzerer Reifezeit. In gewisser Weise vereint er Elemente von Fol Epi, Maasdamer und Jarlsberg, bleibt dabei aber im Charakter näher beim klassischen Emmentaler.
Noch ist der Käse also nicht gegessen.