Streit um die biologische, regionale und regenerative Landwirtschaft
Über die Vorteile der biologischen, regionalen oder regenerativen Landwirtschaft wird oft emotional diskutiert. Anstelle über Inhalte zu diskutieren, vergleich man dabei Äpfeln mit Birnen mit Quitten.

Dies ist der 3. Beitrag zur «Countryside»-Serie über die regenerative Landwirtschaft, geschrieben von Gastautor Ingmar Jaschok-Hops. Der Agrarökonom und ehemalige Bio-Landwirt arbeitet seit 2022 als Herstellungsberater für den deutschen Bioland-Verband. Und er publiziert den Newsletter «Im Norden nichts Neues», den ich sehr gerne empfehle.
Eine Vorschau auf die schon publizierten und geplante Beiträge finden Sie am Schluss des Textes.
Als jemand, der sich in jeder freien und beruflichen Minute mit Lebensmitteln beschäftigt, ist die Diskussion biologische Landwirtschaft vs. regionale Landwirtschaft für mich ähnlich ermüdend wie die Diskussion biologische Landwirtschaft vs. regenerative Landwirtschaft. Man vergleicht dabei Äpfel mit Birnen mit Quitten.
Auch wenn beide Diskussionen sehr populär sind – jedenfalls in der Szene, in der ich unterwegs bin – stehen sie in der Regel dafür, dass sich die eine Seite nicht mit den Inhalten und Themen der anderen Seite beschäftigt; Oder kein Interesse an einer inhaltlichen Diskussion hat.

Bio-Landwirtschaft hat klare Richtlinien – regionale und regenerative Landwirtschaft ist frei interpretierbar
Was von Seiten der Bio-Szene häufig angebracht wird ist, dass die biologische (und in der Schweiz die integrierte) Landwirtschaft klare Richtlinien hat (von Bioland, Naturland, Bio Suisse und IP-Suisse bis Bio Austria). Dagegen sind «regional» und «regenerativ» ziemlich frei interpretierbar und es hat auch niemand so richtig Interesse daran, das zu ändern.
Auf der einen Seite hat dieses Unregulierte eine wahnsinnige Schönheit, der ich auch immer anheimfalle. Denn das Überregulieren und Erstellen von Richtlinien für jeden Pipifax nimmt sehr häufig die Emotion aus der Lebensmittelproduktion.
Auf der anderen Seite ist meiner Überzeugung nach die Motivation für das nicht-fassen von Rahmenbedingungen weniger der Erhalt der Schönheit – vielmehr die Angst davor, dass die Bewegung in sich zusammenfällt.
Müsste ein als regional vermarktetes Erzeugnis – so wie es für Bio-Erzeugnisse gilt – zu 100 Prozent aus regionalen Komponenten bestehen, wären wahrscheinlich 90 Prozent der Erzeugnisse nicht möglich. Oder nur Monoprodukte, also unverarbeitete landwirtschaftliche Erzeugnisse. Dazu gehören unter anderem Obst, Gemüse oder Kartoffeln sowie unverarbeitetes Fleisch und Eier, die nur aus einer Komponente bestehen, wie es bei den Tierwohl-Labels der Fall ist.
Dieser Reflex «dann zeigt und fasst doch mal bitte genau, was regional/regenerativ ist», kommt häufig dann, wenn Sätze fallen wie «Regional ist das neue Bio» oder «Regenerativ ist Bio in cool» – wenn also die erste kleine Ignoranz-Keule schon geschwungen wurde.
An dem Punkt werden viele Diskussionen ziemlich schnell ziemlich hitzig. Eigentlich aber zu Unrecht, wie ich finde. Jedenfalls, wenn man es inhaltlich meint.

Die biologische Landwirtschaft kurz und bündig erklärt
Biologische Landwirtschaft beschreibt eine Philosophie in Anbau, Tierhaltung und Verarbeitung, die von der Idee einer gewissen Rücksichtnahme und Reinheit ausgeht:
Flächen und Tiere sollen nur so viel leisten, wie der Standort/das Tier aus sich heraus produzieren kann.
In der Verarbeitung wird nach dem Prinzip «so viel wie nötig, so wenig wie möglich» mit Zusatzstoffen und Hilfsmitteln umgegangen.
Was handwerklich gelöst werden kann, darf nicht über Hilfsmittel gelöst werden (Haltbarkeit, Fluffigkeit bei Brot, Standfestigkeit bei Wurst, etc.).
Schönende Mittel, die das Lebensmittel optisch attraktiver, aber nicht besser machen, sind ebenfalls verboten (Farbstoffe, oder konkret bspw. Nitritpökelsalz und Ascorbinsäure bei Verbandsware).
Wie so häufig, wenn reproduziert statt selbst hergeleitet wird, ist die oben beschriebene Grundidee bei vielen Höfen und Verarbeitern nicht die Motivation, sondern Bio-Landwirtschaft ist vor allem ein Geschäftsfeld.
Die Wurzel, auf die die Richtlinien zurückgehen, ist aber der rücksichtsvolle Umgang mit der Natur und die Erzeugung hochwertiger Lebensmittel in denen nur das drin steckt, was sinnvoll und notwendig ist.

Die regionale Landwirtschaft kurz und bündig erklärt
Regionalität wiederum beschreibt die Herkunft der Produkte. Wie oben angerissen, wird es im Detail schnell komplex, wenn man genau hinschaut.
Müssen alle Komponenten regional sein?
Ist es auch regional, wenn das Futter der Tiere oder die Düngemittel komplett zugekauft werden? Auch aus Übersee?
Muss die Verarbeitung auch komplett hier stattgefunden haben um regional zu sein?
Spielt die Komponente der regionalen Wertschöpfung/Arbeitsplätze in der Region zu haben eine Rolle?
Spielt das Terroir eine Rolle, also der Geschmack der Region? Wo ist der Radius gezogen?
Und wie gehen wir mit einem regionalen Produkt um, das an seinem Ort ultraregional/lokal ist, aber woanders genossen wird?

Die regenerative Landwirtschaft kurz und bündig erklärt
Regenerative Landwirtschaft ist wiederum eine Philosophie zur Bewirtschaftung der Fläche, die Landwirtschaft vom Boden aus denkt und «aufbauend» statt «auslaugend» arbeitet.
Genau wie bei der Regionalität ist die regenerative Landwirtschaft eine Idee, die auf einer komplett anderen Ebene als die biologische Landwirtschaft stattfindet.
Und noch viel mehr als bei der regionalen Idee, hat die regenerative Landwirtschaft mit dem Fokus auf den Boden und der Aufklärung dazu die grosse Herausforderung, Produkte herzustellen, die gesichert aus regenerativer Landwirtschaft kommen. Also Wertschöpfung mit den Produkten zu betreiben.
Rein regenerative Wertschöpfungsketten gibt es praktisch noch nicht, also keine Sicherheit oder Garantien für die Verbrauchenden. Besonders, wenn es um eine ernsthafte Grösse und Relevanz der regenerativen Bewegung am Markt geht, wird das eine Herausforderung.
In der Direktvermarktung lässt sich die Herkunft gut herleiten – wächst die Bewegung und das Interesse aber, braucht es grosse Strukturen, die sicherstellen, das keine Vermischung erfolgt. Und das gibt es aktuell praktisch noch nicht.
Der aktuell am einfachsten zu bespielende Markt für regenerative Produkte ist, über Humus-Aufbau CO2-Zertifikate zu handeln. Das hat aber aktuell noch häufig ein halbseidenes G’schmäckle.
Für mich hat die noch fehlende wirtschaftliche Honorierung der regenerativen Landwirtschaft aber eine entlarvende Schönheit: sie zeigt nämlich, dass auch in der konventionellen Landwirtschaft Idealismus schlummert.
Aktuell ist eine Flächenbewirtschaftung nach Ideen der regenerativen Landwirtschaft, ohne aber eine Vermarktung dafür zu haben, reiner Idealismus. Und der häufig kolportierte finanzielle Mehrwert und die potenzielle Kostenersparnis in der Bewirtschaftung in weiten Teilen ist eine Glaubensfrage.
Das, was der ökologischen Landwirtschaft jahrzehntelang als etwas Naives vorgeworfen wurde, ist aktuell ein stärkerer Motor für die Transformation der Landwirtschaft von innen heraus als vieles, was an Belohnungs- und Straf-Faktoren über Prämien oder Subventionsabzüge installiert wurde.

Was ist also mein Fazit?
Ich habe es am Anfang angerissen: die Diskussion ist komplexer als sie häufig geführt wird. Die Äpfel-und-Birnen-Diskussion so zu führen, als wäre es eine Apfel-Apfel-Diskussion, hilft nur denjenigen, die kein inhaltliches Interesse haben: Verbänden, Vermarktern, Initiativen oder Händlern. Also Akteuren, die im wirtschaftlichen Eigeninteresse handeln und davon profitieren, dass sich ihr Baby am etablierten Konzept Bio reibt.
Gleichzeitig: Bei Regionalbewegungen sind Bio-Betriebe überproportional vertreten. Und diejenigen, die die regenerative Landwirtschaft nach Europa und in die deutschsprachigen Länder gebracht haben, waren oft ebenfalls Bio-Betriebe.
Wir sollten also nicht darum streiten, wer die regionale oder regenerative Landwirtschaft «erfunden» hat. Diese beiden Bewegungen nehmen der biologischen Landwirtschaft nichts weg. Im Gegenteil: von den regionalen Vermarktungsoffensiven der grossen Lebensmitteleinzelhändler profitieren Bio-Betriebe überproportional.
Genauso ist die Entwicklung der dringend benötigten Geräte und Maschinen für eine aufbauende Bodenbewirtschaftung etwas, das Bio alleine nie stemmen könnte.
Bio-Produkte können regional oder nicht regional sein - das ist etwas, was nicht Teil der Bio-Vorgaben ist. Die regionale Note von als regional gelabelten Produkten kann recht frei hergeleitet werden und bei der Verarbeitung gibt es keine Einschränkungen.
Ökologisch wirtschaftende Höfe sind darauf angewiesen, Böden gesund zu halten und aufzubauen, die Techniken und Herangehensweisen der regenerativen Landwirtschaft werden deswegen aber trotzdem nicht immer konsequent umgesetzt.
Unterm Strich ist es also keine Diskussion. Beim Gegenlesen empfinde ich den Text selbst als antiklimaktisch (im Resultat enttäuschend) – das ist aber wahrscheinlich auch genau das, was die Diskussion braucht: Standpunkte, welche die Diskussion ersticken.
Die Bewegungen gegeneinander ausspielen zu wollen ist immer wahlweise Ignoranz oder Opportunismus: inhaltlich ist es der Vergleich zwischen Äpfeln, Birnen und Quitten.
Serie: Regenerative Landwirtschaft
Was ist regenerative Landwirtschaft und wie hilft sie der Bodengesundheit?
Mit der Nase im Acker – wie regenerative Landwirte den Boden lesen lernen
sowie:
Streit um die biologische, regionale und regenerative Landwirtschaft
… und bis Ende 2025 weitere Beiträge über die verschiedenen Aspekte der regenerativen Landwirtschaft.